Rezension zu „Romanitas“ von Sophia McDougall, ca. 452 Seiten, Orion Books London, 2005
Inhalt
Seit Jahrtausenden hat sich das römische Reich unaufhaltsam ausgedehnt, erstreckt sich nun vom Niger bis zum Ganges, von Grönland bis Feuerland. Man schreibt das Jahr 2757 seit Gründung der Stadt, als in den gallischen Alpen Tertius Novius Faustus Leo, der Bruder des Kaisers, und seine Frau bei einem Autounfall sterben. Ihr Sohn, Marcus Novius Faustus, erfährt schon bald, dass der Tod seiner Eltern mitnichten ein Unfall war. Ohne genau zu wissen, wer hinter dem Anschlag steckt, muss Marcus überstürzt die Stadt verlassen. In der Provinz Britannia hat derweil der junge Sklave Sulien durch die Trauerfeierlichkeiten einen kurzen Aufschub gewonnen. Ihm droht für ein Verbrechen, das er nicht begangen hat, der Tod am Kreuz…
Bewertung
Es gibt Bücher, die lese ich wegen des Autors oder wegen einer spannend klingenden Geschichte. Manchmal ist es aber auch einfach das Cover, das mich einfängt. „Romanitas“ ist so ein Fall. Auf dem Cover sieht man eine Reihe mechanische Kreuze, deren Opfer auf eine moderne Großstadt hinabblicken. „This is the Roman Empire. Now.“ Das macht neugierig auf diese Verquickung der modernen Welt mit einem jahrtausendealten römischen Reich.
Das Buch war dann nicht ganz das, was ich erwartet hatte, wobei auf dem Backcover die Geschichte ja auch nur angedeutet wird. Die Autorin konzentriert sich sehr auf die Story und auf ihre Charaktere, und das gelingt ihr wirklich gut. Man möchte sehr schnell wissen, wie es mit Sulien, Una und Marcus weitergeht. Nebenbei erfährt man viele Details über das Reich und die kaiserliche Familie. Die Anekdote über den Fluch, der auf der Novius-Familie lastet, fand ich dabei besonders interessant erzählt, aber auch die Karte am Anfang des Buches ist faszinierend. Mit Ortsnamen hat sich Sophia McDougall insgesamt große Mühe gegeben, so wurde z.B. Amerika von seinem römischen Entdecker „Terranova“ getauft.
Etwa in der Mitte des Buches kommen die Charaktere nach längerer Flucht kurz zur Ruhe, und ab da fiel es mir dann schon so langsam auf, dass die Autorin sehr wenig über die Lücke zwischen der Handlungszeit (2757 AUC = 2004 n.Chr.) und dem Untergang des römischen Reiches in der Realität verrät. Eigentlich müsste sie das auch nicht unbedingt, es wirken nur viele Details exakt wie man sie aus den Geschichtsbüchern kennt. Da hätte ich mir mehr Informationen gewünscht zur Ursache, wieso dieses Reich so lange bestehen blieb und sich gewisse Dinge dabei so wenig veränderten. Wurde je der Kaiser gestürzt und eine Republik ausgerufen? Gab es eine Entsprechung unseres Mittelalters? Wieso wurde in 1500 Jahren die Sklaverei nicht abgeschafft? Oder die Kreuzigungen? Dem Laien fallen nicht mal nennenswerte Änderungen des politischen Systems auf. Mit größeren Unterbrechungen der Kaiserzeit hätte man all das schön erklären können, die Timeline am Ende des Buches macht es aber deutlich, dass sich die Autorin tatsächlich eine durchgehende Monarchie vorstellt. In dieser Timeline bekommt man durchaus einen schönen Einblick in die Welt, gerade die letzten 50 Jahre vor der Handlungszeit werden aber völlig offen gelassen.
Man muss zudem eine Menge Details zusammentragen, um die Welt des Buches technologisch einzuordnen. Die Handlung spielt in unserem Jahr 2004, aber technisch würde ich sie etwa 1960 ansiedeln. Es gibt z.B. Autos, Schusswaffen, Telefone, Fernseher und Helikopter, aber wohl keine Computer und keine Raumfahrt. Das mag durchaus plausibel sein, diese Welt hat sich halt anders entwickelt. Als Leser erwartet man aber unbewusst, das Römische Reich mit unserer tatsächlichen Realität vermischt zu finden (wie es das Cover sagt: „Now.“), und da irritiert dieser Unterschied doch irgendwie. Es fehlen mir einfach wichtige Facetten unserer Welt, die schlicht nicht erwähnt werden. Besonders im zweiten Teil kam es mir zunehmend komisch vor, dass sich die Charaktere z.B. nicht einfach an die Presse gewandt haben.
Aber das sind letztlich vor allem meine Erwartungen an einen „Alternate History“-Roman. Die Autorin hat dabei halt andere Akzente gesetzt, mehr Charaktere und Story, weniger World Building. Und wie erwähnt hat sie interessante Charaktere erschaffen, die einem schnell ans Herz wachsen. Es gibt übrigens auch kleine Fantasyelemente in der Geschichte, aber das hält sich sehr in Grenzen. Der Schreibstil ist flüssig und packend, das Buch hat mich mehrmals bis früh um fünf wach gehalten. 😉
„Romanitas“ ist Sophia McDougalls erster Roman, sie hat mittlerweile zwei Fortsetzungen geschrieben. Auf Deutsch ist das Buch meines Wissens nach nicht erschienen.
Fazit
Eine sehr spannende Geschichte mit interessanten Charakteren. Die Alternativwelt, welche die Autorin aufbaut, könnte detailreicher konstruiert sein, aber sie weiß größtenteils auch so zu überzeugen. Auf jeden Fall lesenswert.