Ahnenforschung: Mein erster Archivbesuch

Ich habe in den letzten Jahren viele Akten angeschaut: Funde im Familienbesitz, Kirchenbuch-Scans bei Archion, gescannte brasilianische Einwanderungs-Akten und verfilmte Standesamts-Unterlagen. Aber vor drei Wochen war ich tatsächlich das erste Mal in einem Stadtarchiv, und zwar in Greifswald. Bonn wäre naheliegender gewesen, aber über den Bonner Teil der Familie meiner Frau weiß ich noch gar nicht so viel. Und in einem physischen Archiv mit physischem Archivgut ist es wichtig zu wissen, was man sucht. Dazu gleich mehr.

Kurz zu Greifswald: Das Archiv ist in einem schicken Neubau hinter dem Alten Friedhof untergebracht. Sehr nah am Fluss, aber das Archivgut ist wohl erst ab dem ersten Stock aufwärts untergebracht. Hoffen wir mal, dass das reicht, falls es doch mal eine Jahrhundertflut gibt. Jedes Archiv funktioniert wohl etwas anders, aber in der Regel muss man sich dort vorher anmelden. Dass man in Greifswald nicht auch spontan Platz hätte, kann ich mir kaum vorstellen (an diesem Nachmittag war ich der einzige Besucher bei mindestens sechs Arbeitsplätzen), aber in anderen Städten mag das anders sein. So oder so muss das Archivgut aber herausgesucht werden. Das passiert nicht auf Zuruf, sondern man meldet vorher an, was man sehen möchte.

Wenn man es aus dem Digitalen gewohnt ist, einfach Zugang zu allem zu bekommen, dann sind die Einschränkungen eines Archivs auch erst mal ungewohnt. Man kann eben nicht selber in allem stöbern und es werden auch keine Reproduktionen kompletter Akten angefertigt. Und damit man nicht ersatzweise das ganze Archiv in den Lesesaal bestellt, gibt es eine Grenze von acht Archivstücken pro Tag. Wichtig für Standesamts-Unterlagen: Damit ist das physische Buch gemeint, nicht die Urkunde. Wenn also viele Geburten, Heiraten oder Todesfälle nah beieinander liegen, lohnt das also mehr, als ein Buch wegen einer einzelnen Urkunde kommen zu lassen. Das Buch umfasst natürlich nicht zwangsläufig das ganze Jahr, auch bei nah beieinander liegenden Daten kann man Pech haben.

Zu den Einschränkungen gehört auch, dass man nur Stift und Zettel und ggf. einen Laptop mit in den Lesesaal nehmen darf. Man darf nicht einfach selber Fotos machen und Scans werden auch nicht auf Zuruf direkt vor Ort erstellt. Die muss man beantragen, bezahlen und kriegt sie später per Post geschickt. Wenn man in einem Ort viele Vorfahren hat, kann man sich ggf. also auf viele Besuche des Archivs einstellen.

Andersherum hatte ich eigentlich aber mit mehr Restriktionen gerechnet. Letztlich habe ich einmal angerufen, eine Mail geschrieben und ein Formular mit meinen Daten selber ausgefüllt. Ich nehme an, dass es Videoüberwachung gibt, aber davon abgesehen hat niemand meinen Ausweis gesehen und mir wurden die Originale einfach hingelegt. Da hatte ich mit ein bisschen mehr Kontrolle oder Ansagen gerechnet. Ich durfte einfach drauf los schmökern. Dass ich weiß, wie man mit 150 Jahre altem Papier umgeht, und dass ich kein irrer Pyromane mit einem Feuerzeug in der Tasche bin, wurde einfach vorausgesetzt. 🙂

Der ganze Besuch war jedenfalls sehr angenehm, mit Ausnahme der Tatsache, dass ich eben nicht einfach den ganzen Bestand selber durchstöbern durfte. Das ist aber vielleicht auch gut so, sonst hätte ich mich da nie mehr losreißen können. Aber woher weiß man nun, was man sich an Akten kommen lässt? Ganz einfach: In MV ist es das Ariadne-Portal. Hier einfach das gewünschte Archiv auswählen, dann kann man sich durch die sogenannten Findbücher klicken. Das sind letztlich die Titel der archivierten Akten, ggf. mit einer rudimentären Beschreibung und vielleicht einem Zeitraum, den die Akten abdecken. Das sieht auf den ersten Blick verwirrend und wenig ergiebig aus, aber es lohnt sich, in der Baumstruktur mal herumzuklicken für ein Gefühl, was da alles sein könnte. Außerdem gibt es für die Titel der Akten eine Volltextsuche. Hier also einfach mal die relevanten Nachnamen auf gut Glück eingeben – auf die Weise konnte ich mich heute durch die Personalakte meines Ururgroßvaters blättern. 48 Blatt aus 41 Jahren Lehrer- und Rektorenkarriere!

Alle Akten haben letztlich eine Bestandsnummer, die man herausfinden muss, um sie in den Lesesaal kommen zu lassen. Nicht in Ariadne enthalten, zumindest für Greifswald, sind die Standesamts-Unterlagen. Die sind im Bestand 01.04 enthalten. Da kann man einfach das Datum des Ereignisses in die Mail schreiben, dann kriegt man die passenden Bücher. Wichtig: Man sollte auf jeden Fall eine Liste aller in Frage kommenden Ereignisse aus der Gegend dabei haben. Denn wenn man das Buch schon einmal vor sich hat, wär es ja blöd dann später zu Hause zu sehen, dass einen Monat später noch was spannendes drin gestanden hätte. Ich habe mir vor Ort knappe Notizen gemacht mit den neuen Infos, zur Sicherheit, und ansonsten alles als Kopie angefordert. Das kostet ein bisschen was, aber da habe ich mit Blanko-Anfragen an entfernte Standesämter schon ganz andere Summen in Rechnung gestellt bekommen. Ebenso habe ich mir die Infos zu den Büchern selber aufgeschrieben, damit ich sie zu Hause als Quelle erfassen kann, so wie ich es mit digitalen Kopien ja auch mache (Band-Nummer, Eintrag x bis y, Haupt- oder Nebenregister?).

Ich habe für dieses Mal mit einigen Standesamts-Einträgen angefangen. Das ist nicht so spannend wie in dicken Aktenbergen zu schmökern, aber man hat vor Ort eh nicht so viel Zeit (wegen der begrenzten Öffnungszeiten), und Kurrentschrift ist ja bekanntlich anstrengend zu lesen. Man sollte es also gerade für den Anfang nicht übertreiben und genug Zeit einplanen. Bei allen Einträgen habe ich vorher überlegt, was der Eintrag mir bringen könnte. Dazu hilft es, zu schauen, was man bisher denn schon hat: Eine Abschrift, eine Urkunde oder noch gar nichts? Bei einer Abschrift hat man eigentlich alle Infos schon und erfährt nichts Neues mehr. Bei einer Urkunde dagegen kann und wird einiges fehlen, u.a. Randbemerkungen.

Drei Geburtseinträge hatte ich angefordert, in der Hoffnung auf genau solche Randvermerke. Bei allen drei Kindern der ältesten Schwester der Ururgroßmutter wusste ich bisher kein Sterbedatum, und tatsächlich fand sich bei zwei der Geburtseinträge auf dem Rand der Hinweis auf Standesamt und Nummer des Sterbeeintrags. Damit komme ich im Kirchenbuch sicher weiter. Einerseits ein Erfolg, aber auch bitter: Beide Nummern der Schwestern waren aufeinanderfolgende Nummern aus dem Jahr 1945. Ich habe von beiden Damen einige Fotos, und sie werden oft in Briefen erwähnt. Meine Urgroßmutter und mein Großvater hatten wohl durchaus engen Kontakt zu ihnen, und ich habe ein bisschen Angst, was für eine Geschichte ich da finden werde. Ich hätte ihnen einen friedlichen Tod im hohen Alter gegönnt.

Als nächstes hatte ich drei Heiratseinträge bestellt, von denen ich bisher nur die Urkunden besaß. Urkunden sind gut für die Daten der Hauptpersonen, aber es fehlen Randvermerke und die Trauzeugen. Nun weiß ich also, dass bei der Heirat meiner Großeltern jeweils eine Schwester von Braut und Bräutigam Trauzeugen waren. Von beiden waren ja die Väter im Ersten Weltkrieg gefallen, die diese Rolle sonst vielleicht ausgefüllt hätten. So kann ich mir die Hochzeit gleich besser vorstellen! Und auf der dritten Hochzeitsakte war tatsächlich das Sterbedatum des Bräutigams auf den Rand gestempelt, das ich auch noch gesucht hatte. Bisher hatte ich dessen Tod nicht gut eingrenzen können, und Stralsund ist für systematisches Durchsuchen der Kirchenbücher dann doch etwas groß, zumal mit einem Namen wie „Meyer“. 🙂

Als letztes habe ich zwei Schulakten kommen lassen. Zum einen die erwähnte Personalakte von Rektor Westphal. Im Lesesaal konnte ich das nur überfliegen, aber ich weiß jetzt, wo er seine Lehrerausbildung gemacht hat und wo er vor Greifswald Lehrer war. Ansonsten enthielt die Akte alles mögliche, von Abschlusszeugnissen und Details zur Rektorenprüfung bis zu Meldungen an den Magistrat, wo er von wann bis wann Urlaub machte und wer ihn in der Zeit vertrat. Mit den angeforderten Kopien werde ich dann sicher auch ein etwas besseres Bild haben, was für ein Mensch Rektor Westphal so war.

Die zweite Akte war eine Sammlung von Personalakten von Lehrern der Knaben-Mittelschule. Da hätte ich jetzt meinen Urgroßvater Ludwig finden können. Habe ich aber leider nicht, seine Akte war nicht dabei. In der Sammelmappe lagen aber auch nur etwa 15 Akten aus 40 Jahren, das konnten also niemals alle Lehrer gewesen sein. Einen Versuch war es wert, und falsch war der Gedanke nicht: In der Akte eines Kollegen fand sich ein Brief, in dem der Lehrer vorschlug, einem Kollegen zum Dienstjubiläum eine Aufmerksamkeit zu besorgen, und alle Kollegen hatten mit Ja oder Nein gestimmt. Da stand der Ludwig mit dabei. Wäre ich noch besser vorbereitet gewesen, hätte ich aus den Kriegsbriefen Ludwigs noch Namen abgeschrieben, um zu schauen, ob einer der Lehrer enger mit ihm befreundet war.

Zweieinhalb Stunden vergingen jedenfalls wie im Flug, und für den nächsten Tag habe ich mir gleich noch ein paar schnell anzuschauende Standesamts-Unterlagen bestellt. Die potentiell interessanten Standesamts-Unterlagen sind ja so zahlreich, dass ich da schon einige Male nach Greifswald fahren muss, und dann habe ich noch gar nicht das etwas obskurere Archivgut angeschaut. In Militär-Stammrollen kann man ggf etwas über den Militärdienst der Vorfahren erfahren, und der Witwenfonds des Schiffervereins hat vielleicht Details zu meinem auf See verschollenen Kapitänsvorfahren und seiner Witwe. Da werde ich mir sicher noch einiges auf gut Glück in den Lesesaal bestellen müssen. Der Besuch im Stadtarchiv gehört ab jetzt jedenfalls zum Heimatbesuch in Greifswald mit dazu, wenn es die Zeit irgendwie hergibt. 🙂

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So, noch mal kurz drüber schauen und dann nichts wie ab damit. Vielen Dank fürs Kommentieren! :-)