Rezension zu „The Well of Lost Plots“ von Jasper Fforde, Hodder and Stoughton London, ca. 361 Seiten, Ersterscheinung: 2003 (UK)
Inhalt
Am Ende des zweiten Thursday-Next-Romans hatte sich die schwangere Thursday in ein unveröffentlichtes Buch zurückgezogen, um Ruhe zu haben vor den Nachstellungen der Goliath Corporation und Acheron Hades‘ Schwester Aornis. Im Rahmen des Character Exchange Programs verlässt Thursday die reale Welt und nimmt in dem grottenschlechten Detektivroman „Caversham Heights“ die Rolle einer Nebenfigur ein, während gleichzeitig ihre Ausbildung bei Jurisfiction weitergeht.
Doch die geplante Auszeit ist nicht halb so ruhig wie Thursday sich das vorgestellt hatte: Ihre Jurisfiction-Mentorin Miss Havisham hält sie auf Trab, ihr Zufluchtsort „Caversham Heights“ steht kurz davor als unveröffentlichbar abgerissen zu werden, ihr Flugzeug-Hausboot muss sie mit zwei Generics teilen (allgemeine Charaktere, welche in der Charakterschule St. Tabularasa zu näher beschriebenen Charakteren ausgebildet werden) und dazu hat sie zunehmende Schwierigkeiten, sich an ihren Ehemann zu erinnern. Aornis Hades hat bei ihren letzten Begegnungen offenbar einen „mind worm“ in Thursday hinterlassen, der sich nun langsam durch ihre Erinnerungen frisst. Und dann beginnt auch noch eine Mordserie unter Jurisfiction-Agenten…
Bewertung
Dieses Buch ist schwierig zu bewerten. Während des Lesens hat mich das fast völlige Fehlen einer nachvollziehbaren Handlung zunehmend gestört (viel stärker als in Band 2). Wenn man das Buch jedoch ausgelesen hat, sieht man es in einem ganz anderen Licht. Viele Details ergeben dann ein ganz anderes Gesamtbild, und ich bin nicht sicher, wie viel ich davon verraten soll.
Zuerst einmal: Wenn man die ersten beiden oder zumindest den zweiten Thursday-Next-Roman nicht kennt, braucht man „The Well of Lost Plots“ eigentlich gar nicht erst anzufassen. Man hat dann wenig Chancen, der Sache viel abzugewinnen, denke ich. Immerhin wird die Handlung des zweiten Romans hier relativ nahtlos weitergeführt. Und wenn ich in meiner Rezension von Band 2 noch schrieb, es wäre „ein typischer zweiter Teil einer Trilogie“, so bin ich versucht, das hier zu wiederholen. Ohne Band 4 schon zu kennen, vermute ich, dass Band 3 in erster Linie Band 2 und 4 verbindet. Das Buch enthält tonnenweise witzige und interessante Gedanken zur Buchwelt und eine originelle, wenn auch sich erst spät entwickelnde Geschichte. Aber was die am Ende von Band 2 offen gelassenen Handlungselemente betrifft, ist dieses Buch eher irrelevant und man kann gleich zu Band 4 springen.
Und damit zu dem großen Pluspunkt des Buches, seiner Originalität. Im ersten Thursday-Next-Roman hatte Jasper Fforde eine faszinierende und witzige Parallelwelt entworfen, und schon da hatte ich den Eindruck, dass ihm Bücher wirklich am Herzen liegen. In Band 2 hat er diese Welt ausgebaut und den Leser parallel dazu in die Welt der Bücher eingeführt. Wir erfahren, dass die Charaktere aller Bücher tatsächlich in ihrer eigenen Welt existieren – eine Welt, in der Jurisfiction für Recht und Ordnung sorgt. In diesem Buch geht nun Jasper Fforde noch einen Schritt weiter: Er verlässt die reale Welt völlig, das Buch spielt bis auf wenige Szenen komplett in der Welt der Bücher. Dafür erschafft er hier mit unheimlicher Liebe zu Details eine sehr faszinierende Welt, die tatsächlich (glaubwürdig?) erklärt, wie die Welt der Bücher funktioniert. Auf 34 Kapitel verteilt erfahren wir nach und nach, wie Buchstaben aus dem Textmeer geborgen werden, wie „Plot Devices“ auf dem Schwarzmarkt gehandelt werden, wie anfangs unbeschriebene Charaktere auf speziellen Schulen ausgebildet werden, manche von ihnen zu Nebencharakteren, manche aber auch zu Hauptcharakteren. Aber auch, wie Bücher vom Mispeling-Vyrus bedroht sind, wie die Handlung aus der Buchwelt zum Autor kommt und mit welchem Betriebssystem die Buchwelt funktioniert (BOOK v8.3 im Moment). Der titelgebende „Well of Lost Plots“ ist dabei der Ort, welcher alle unveröffentlichten Bücher enthält.
Alle diese Ideen sind einfach herrlich, originell und witzig für jeden, der Bücher liebt. Eine lange Zeit wirkt das Buch aber leider wie eine bloße Aneinanderreihung dieser Ideen, ohne dass man eine Handlung ausmachen könnte. Diese ist durchaus vorhanden, aber sehr gut versteckt. Aus den vielen, vielen Handlungsfetzen kristallisieren sich am Ende zwei Handlungen heraus, die für das Buch als Ganzes wichtig sind. Das eigentliche Thema des Buches will ich dabei nicht verraten, aber quasi die Nebenhandlung hatte ich ja schon angesprochen: Aornis‘ „Mindworm“. Dies ist, denke ich, mit ein Grund dafür, dass das Buch etwas zusammenhanglos wirkt: Aornis beeinflusst Thursday und ihre Erinnerungen, und das wirkt sich auf die Erzählung natürlich unmittelbar aus, da das Buch wie alle Thursday-Next-Romane aus der Ich-Perspektive von Thursday erzählt ist. Thursdays Verwirrung prägt dabei das ein oder andere Kapitel, und wenn sie etwas vergessen hat, äußert sich das in der Erzählung natürlich eher subtil. Dabei ist es eigentlich durchaus mutig und spannend, das Wirken des Gedankenvirus aus der Ich-Perspektive zu schildern. Man muss das Buch nur auch aus diesem Blickwinkel lesen.
Und dann gibt es an „The Well of Lost Plots“ noch einen Aspekt, der sich erst gegen Ende eröffnet: Es ist quasi der „Pilotfilm“ zu Jasper Ffordes zweiter Buchreihe, den „Nursery Crimes“, von denen ich bisher immer dachte, sie würden in ihrer eigenen Welt spielen. Da war ich dann ziemlich überrascht, und das erklärt sicher auch die ein oder andere bedeutungslos wirkende Szene und den Raum, der in diesem Buch den „Caversham Heights“-Charakteren gewidmet wird. Eigentlich hatte Jasper Fforde diese Reihe übrigens zuerst geschrieben, jedoch keinen Verlag dafür gefunden. Er entschuldigt sich im Bonusmaterial des Buches auch für den recht dreisten Versuch, der Veröffentlichung von „The Big Over Easy“ auf die Sprünge zu helfen. *g*
Das Buch ist übrigens auch sonst mit sehr viel Phantasie umgesetzt. Von den üblichen Werbeanzeigen am Ende des Buches bis zu den Credits, welche u.a. darauf hinweisen, dass der Autor während des Schreibens Nüsse gegessen haben könnte. Wie schon im letzten Buch verständigen sich die Charaktere immer mal wieder über das Footnoterphone, welches es einem erlaubt unter Angabe von ISBN-Nummer und Seitenzahl in anderen Büchern anzurufen, was sich dort als Fußnote äußert. Und auch sehr witzig, aber für den Lektor sicher die Hölle gewesen: Das nicht umsonst so heißende Mispeling-Vyrus verursacht jede Menge Rechtschreibfehler, wenn man ihm zu nahe kommt. 🙂
Fazit
„The Well of Lost Plots“ ist kein einfaches Buch und es kann nicht wirklich für sich alleine stehen. Trotz aller oben angeführter Erklärungen hätte es eine etwas durchgängigere Handlung gut vertragen können. Aber für Fans der Thursday-Next-Reihe ist es trotzdem empfehlenswert, und jeder Büchernarr wird die detailliert geschilderte Welt der Bücher einfach lieben.
Es empfiehlt sich übrigens, sich das Bonusmaterial auf der Webseite des Autors anzuschauen (Link siehe unten). Darin erzählt Jasper Fforde einiges über die Entstehung des Buches und seine Arbeitsweise, was einem hilft, das fertige Produkt besser zu verstehen.
Links
Auf seiner Website hat Jasper Fforde einiges an Material zu diesem Roman online gestellt:
- Übersichtsseite zum Buch
- Errata (Liste von Fehlern in der UK-Ausgabe, auch für die US-Ausgabe erhältlich, in der mir vorliegenden Ausgabe übrigens schon eingearbeitet)
- Special Features (u.a. ein „Making of“-Wordamentary, „Deleted Scenes“ zu Band 3, Outtakes, „Textual Morraine“)
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