Neues Hobby: City Strides (Teil 1)

Ich habe gerade mit Schrecken festgestellt, dass ich hier in den letzten 12 Monaten nur drei Beiträge veröffentlicht habe. Zum Teil liegt das an den stetig zunehmenden Alltagsanforderungen. Mit 42 gibt es so viele Dinge, um die man sich kümmern muss, die es mit 22 nicht gab: Tierarztbesuche, Elternabende, Handwerker für die Wohnung finden, Gesundheit (die eigene und die von anderen)… Zum Teil liegt es auch an der Familienforschung, in die viel Zeit fließt, aber die bisher online bis auf ein paar Blog-Beiträge nicht so sichtbar ist.

Aber es hat auch einen anderen, schönen Grund: Ich habe letztes Jahr ein neues Hobby angefangen, das mich vom Computer fernhält, und zwar City Strides. Die Tagline lautet: Run. Every. Street.

Worum geht es?

Man läuft jede Straße einer Stadt ab und trackt das ganze. Auf der „Life Map“ füllt sich die Stadt dann langsam mit den Linien der GPS-getrackten Spaziergänge, und die Prozentzahl der Stadt klettert langsam nach oben. Man fängt in seinem Viertel an, wagt sich in die Nachbarviertel vor und dehnt mittägliche Spaziergänge rund ums Büro aus. Irgendwann fährt man auch mal ans andere Ende der Stadt und läuft konzentriert Einfamilienhaus-Siedlungen ab. Die Prozentzahl der geschafften Straßen treibt einen an: Kann man seine Heimatstadt tatsächlich komplett ablaufen?

Ursprünglich gedacht war das ganze für Jogger, aber es wird auch Gehen getrackt. Mein Motto lautet also: „Walk. Every. Street.“

Die Vorteile dieses Hobbys sind leicht aufgezählt: Man geht an die frische Luft und bewegt sich! Das ergänzt die Familienforschung ganz wunderbar, bei der man ja große Mengen Zeit bewegungslos am Rechner verbringt. Und man lernt seine eigene (oder eben auch eine andere) Stadt kennen, und zwar auf eine Weise, wie man es von Auto, Bus oder Fahrrad aus nicht kann. Deswegen funktionieren diese Aktivitäten auch für CityStrides nicht, denn nur zu Fuß hat man die Ruhe, wirklich auf seine Umgebung zu achten.

Der Clou dabei ist mal wieder Gamification. Natürlich kann man auch ohne Tracking rausgehen und bisher unbekannte Ecken der Stadt erkunden. Könnte man, macht man aber nicht. Genau genommen ist es spannend, wie wenige Ecken selbst des eigenen Stadtviertels man zu Fuß erkundet hat. Letztlich bewegt man sich oft auf den immer gleichen Bahnen, gehetzt vom straffen Zeitplan des Alltags. Und gute Vorsätze wie „Jeden Abend 30 Minuten“ rausgehen scheitern schnell daran, wie langweilig Spaziergänge im eigenen Viertel schon nach kurzer Zeit werden, wenn man die immer gleiche Route nimmt. Das mag natürlich jedem anders gehen. Ich zumindest brauche den spielerischen Ansatz, die Belohnung, auf dem Handy nach einem 5-Kilometer-Spaziergang „8 Completed Streets“ zu lesen.

Meine Erfahrungen

Für mich fing alles mit einem Artikel im Guardian an, letzten Mai. Ich saß spät in der Nacht auf der Couch und habe mal wieder versucht, das Internet leer zu lesen, um nicht schlafen gehen zu müssen. Bei der Lektüre hatte ich das starke Gefühl, dass ich das auf jeden Fall ausprobieren möchte. Das war ein wirkliches Bauchgefühl, wie ich es auch nicht oft habe, und ich habe mich direkt am nächsten Tag angemeldet. Mein Profil verrät mir, dass ich seitdem allein in Bonn 272 Kilometer zu Fuß gegangen bin. Das ist für mich Fitness-Muffel schon beachtlich.

Bisher habe ich 18.43% der Bonner Straßen geschafft und meine Karte sieht so aus:

Man kriegt einen ganz neuen Blick auf die eigene Stadt, wenn man sie Fuß abläuft. Ich habe kurze Sackgassen nur wenige Straßen von zu Hause entfernt entdeckt, in denen ich in 12 Jahren hier in Ippendorf nie drin war und die sich bei näherer Betrachtung als ziemlich lange Sackgassen mit durchaus vielen Häusern herausstellten. Ich habe herausgefunden, dass manche Viertel viel größer sind als ich gedacht hätte, und andere viel kleiner. Die einzelnen Teile der Stadt ergeben jetzt in meinem Kopf viel mehr ein stimmiges Gesamtbild. Wenn man die einzelnen Ecken nur mit Auto und Bus anfährt, hat man eher nicht so parat, wie sie in Relation zueinander liegen. Vielleicht ist das aber auch nur wie mein Gehirn funktioniert.

In alten Vierteln gibt es jede Menge wunderbarer Altbauten zu entdecken, prunkvoll geschmückte Häuser mit Erkern, Wasserspeiern und Balkonen. Bonn hat aber genauso auch Ecken, die man besser bei Tageslicht abläuft. Im Rotlichtviertel (ok, es ist nur ein Haus oder zwei) gibt es ein riesiges Wandgemälde, dass ich nie gesehen habe, weil man an dieser Ecke immer von der anderen Seite aus vorbeifährt. Es gibt auch ausgedehnte Einfamilienhaus-Siedlungen, Ministerien und das ehemalige Bundesviertel, den Kottenforst. Es gibt verwinkelte Gassen, die so schmal sind, dass ich sie jahrelang nicht mal wahrgenommen habe, und es gibt die B9, die sich kilometerweit durch die Stadt zieht und größtenteils leider auch einen Bürgersteig hat. Das alles und noch viel mehr. Ich sollte wirklich öfter das Handy zücken und spannende Dinge fotografieren.

Ich glaube, für mich hat dieses Hobby auch noch eine andere Funktion. Ich lebe seit 12 Jahren in Bonn und bin davor viel umgezogen. Nun, nicht direkt viel, aber regelmäßig, so dass ich außerhalb von Bonn nirgends länger als sieben Jahre gelebt habe. Ich hatte nie so richtig ein Gefühl von Heimat, wie man es hoffentlich hat, wenn man 18 Jahre im gleichen Ort aufwächst. Nun lebe ich seit 12 Jahren in Bonn, fühle mich hier aber immer noch wie „der Neue“, wie ein Zugezogener. Als frische Eltern sind wir jahrelang nicht so viel vor die Tür gekommen wie es schön gewesen wäre, und jahrelang haben wir beide nicht in Bonn gearbeitet. Kurz, ich habe tatsächlich das Gefühl, bisher nicht genug von meiner Stadt gesehen zu haben. Wenn ich 100% der Straßen in Bonn erlaufen habe, dann denke ich bin ich hier angekommen.

Der Beitrag ist etwas länger geworden, also teile ich den Rest mal ab und poste ihn in Folgebeitrag.

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So, noch mal kurz drüber schauen und dann nichts wie ab damit. Vielen Dank fürs Kommentieren! :-)