Ann Leckie: Ancillary Justice

Rezension zu „Ancillary Justice“ von Ann Leckie, 384 Seiten, Orbit Books, 2013

Deutsche Ausgabe: „Die Maschinen“, 2015, Heyne Verlag

Inhalt

Auf einem abgelegenen, verschneiten Planeten findet Breq den Offizier Seivarden, den sie aus der fernen Vergangenheit kennt, und rettet ihm das Leben. Sie ist auf einer Mission, auf der Suche nach einem Weg, Rache zu nehmen für etwas, das 19 Jahre zuvor geschehen ist. Damals war Breq noch Justice of Toren, die AI eines großen Kriegsschiffes. Über sogenannte Ancillaries, zu willenlosen Drohnen umgestaltete Kriegsgefangene, nimmt die AI mit hunderten Körpern am aktuellen Feldzug teil, um das Imperium der Radchaai weiter zu vergrößern. Doch auf dem Planeten Shis‘urna geht etwas schief, und nun ist Breq der letzte überlebende Teil von Justice of Toren

Bewertung

„Ancillary Justice“ wurde mir wärmstens empfohlen, und schon das Cover weist darauf hin, dass der Roman sowohl den Hugo- als auch den Nebula-Award gewonnen hat. Das weckt natürlich Erwartungen. Das Buch liest sich auch spannend, wenn auch stellenweise verwirrend. Anfangs fand ich es wirklich gut, aber nach und nach fingen gewisse Eigenheiten der Erzählung an zu nerven. Unterm Strich war ich dann am Ende doch ein wenig enttäuscht davon.

Ann Leckie baut eine komplexe Welt auf, erzählt aber recht selektiv darüber. Die Geschichte spielt in einer undefinierbar fernen Zukunft, in der die Menschheit die ganze Galaxis besiedelt hat und niemand mehr auch nur die Erde als Ursprungsplaneten kennt. Insofern erinnert das ein wenig an „Dune“. Diese Analogie kommt auch in anderer Hinsicht hin, denn die Welt des „Radch“ genannten Imperiums wird von großen Adelshäusern beherrscht. Im Laufe des Buches erfahren wir viele Details über die Sozialstrukturen und die Religion des Imperiums, aber eigentlich sehr wenig über den Rest dieser Welt. Es wird eine Herrscherfigur eingeführt, aber alle Details, wie dieses Imperium funktioniert, bleiben irgendwie nebulös. Gleichzeitig hat sich die Autorin viele eigene Begrifflichkeiten ausgedacht, was dazu führt, dass man sich gerade am Anfang des Buches wirklich etwas konzentrieren muss. Es ist also kein Roman, den man in 10-Seiten-Häppchen lesen kann.

Die Geschichte wird von Breq alias Justice of Toren alias One Esk Nineteen in der Ich-Form erzählt, und zwar einmal in der Gegenwart und einmal in einem durch den ganzen Roman gezogenen Flashback. In der einen Handlungsebene ist der Erzähler also eine in einem menschlichen Körper gefangene AI, in der anderen eine AI, welche ein Schiff und hunderte Körper kontrolliert. Das ist als Erzähler für eine Ich-Perspektive auf jeden Fall ungewöhnlich und herausfordernd. Ann Leckie gelingt es gut, die Geschichte aus der Perspektive der AI zu schildern. Das ist interessant geschildert und hat etwas Frisches. Es hat aber auch einen Nachteil: Als AI ist der Protagonist naturgemäß eher emotionslos, und mir als Leser fällt es schwer, mich damit zu identifizieren.

Und nun zu dem Detail der Erzählung, welches das Nebulöse der Erzählung perfekt zusammenfasst und einem den Lesespaß ein wenig verderben kann. Schon ganz am Anfang des Buches erklärt der Erzähler dem Leser, dass es in der Sprache der Radchaai keine Kennzeichnung für Geschlechter gibt und dass es der AI sehr schwer fällt, das Geschlecht eines Gegenübers anhand optischer Hinweise zu erkennen. Warum ihr etwas so Einfaches so schwer fällt, wird aus meiner Sicht nicht wirklich begründet. Deswegen legt sich Breq jedenfalls im inneren Monolog nicht fest und verwendet in der Erzählung immer die weibliche Form. Im Gespräch mit anderen Charakteren werden wir Leser auf diese Schwierigkeiten immer wieder hingewiesen. Soweit, so gut. Ich fand das am Anfang tatsächlich charmant und unterhaltsam. Dass Seivarden männlich ist, kriegen wir immerhin gleich verraten, bei allen anderen Charakteren müssen wir raten. Das Problem ist, dass Ann Leckie das so durchzieht, selbst da, wo es keinerlei Sinn macht. Auch im Flashback zum Beispiel, wo Justice of Toren ja als AI des Schiffes Zugang zu allen Informationen hat, werden alle Charaktere als weiblich bezeichnet. Selbst der „Lord of the Radch“, und man darf als Leser dann raten, ob es nun ein Lord oder eine Lady ist. Vielleicht bin ich da altmodisch, aber ich muss mir beim Lesen irgendwie ein Bild der handelnden Personen machen. Das fängt mit einer Stimme an, mit einer ungefähren Idee, wie jemand aussieht, wie er sich bewegt. Wenn man aber nicht mal weiß, ob derjenige männlich oder weiblich ist, bleibt es eben sehr nebulös.

Und so nimmt die Geschichte ihren Lauf, es passieren Dinge, wir folgen dem AI-Charakter und beobachten seine (ihre?) Interaktionen mit anderen Charakteren, aber es reißt einen nicht so richtig mit. Ich denke auch, dass man die Beziehungen der Charaktere nicht wirklich verstehen kann, wenn einem solche elementaren Dinge fehlen. Dass sich die AI aus Geschlechtern nicht viel macht, ergibt ja Sinn. Aber folgt ihr Seivarden z.B. so bedingungslos, weil er in sie verliebt ist? Dass man das nicht wirklich versteht, liegt natürlich auch an der Ich-Perspektive, bei der logischerweise die inneren Gedanken und Emotionen der anderen Charaktere außen vor bleiben. Aber die Autorin hat eben einen Protagonisten und eine Erzählform gewählt, die es einem extra schwer macht.

Es gibt auch noch einen anderen Aspekt, der mich beim Lesen etwas auf Distanz gehalten hat, und das ist der moralische. Normalerweise folgt man ja in einer Geschichte „guten“ Charakteren beim Kampf gegen „böse“. Manchmal sind sie auch ambivalent, selten wird eine Geschichte aus der Sicht eines „bösen“ Charakters erzählt. Hier haben wir nun eine AI als Erzähler, und diese hat im Prinzip keine Moral. Sie rettet auch mal jemanden, wenn ihr danach ist, aber genauso wenig hat sie irgendein Problem damit, zu töten, wenn ihr das befohlen wird. Oder genauer gesagt, kann sie sehr viele Menschen töten, bevor sie damit ein Problem bekommt. Das ganze Radch-Imperium wird als recht erbarmungslos geschildert, was man am besten an den für die Eroberungsfeldzüge benutzten Ancillaries sieht. Diese sind offenbar Kriegsgefangene, deren Körper zu hunderttausenden in den Schiffen eingefroren sind. Wann immer Bedarf besteht, taut man die Körper auf, löscht quasi deren Bewusstsein und gibt der Schiffs-AI die volle Kontrolle darüber. Ist vermutlich billiger als Androiden zu bauen, aber ethisch durch nichts zu rechtfertigen. Justice of Toren ist das bewusst, es wird ab und an angesprochen, aber es stört den Erzähler nicht und alle anderen auch nicht. Auch das hält mich als Leser auf Distanz zu den Charakteren.

In der zweiten Hälfte des Buches bekommt man langsam eine Idee, um was es eigentlich geht. Diese Geschichte ist schon schön ausgedacht, hat für mich aber nur bedingt funktioniert. Da die Welt nebulös bleibt und die Charaktere nebulös bleiben, kommt die Wendung in der Geschichte relativ plötzlich. Aus meiner Sicht hätte man das besser vorbereiten und den Charakter des Lord of the Radch besser einführen müssen. Oder überhaupt mal richtig einführen. Da ich als Leser diesen Charakter so wenig verstehe und so wenig darüber weiß, wirkt der ganze Konflikt etwas aufgesetzt.

Im übrigen würde es mich interessieren zu hören, wie die Übersetzung gelungen ist. Wenn schon Englisch im Vergleich zu Radchaai Geschlechter kennzeichnet („he“ vs. „she“), wie klappt das dann erst im Deutschen, wo man sich ja noch zusätzlich z.B. zwischen „Arzt“ und „Ärztin“ entscheiden darf? Ist das dann einfacher zu lesen, weil die Eigenschöpfungen der Autorin mehr herausragen und weniger verwirren? Oder kann der Übersetzer die Geschichte gar nicht sinnvoll erzählen, wenn er das Geschlecht von Breq nicht kennt? Wer das Buch auf Deutsch gelesen hat, darf gerne mal etwas dazu in die Kommentare schreiben! Ich würde mich freuen.

Fazit

„Ancillary Justice“ ist nur der Beginn einer Trilogie, insofern muss man vielleicht ein paar Abstriche machen. Aus meiner Sicht ist die Welt jedoch nicht gut genug eingeführt worden, die Charaktere bleiben schwer zu fassen und man wird als Leser künstlich auf Distanz gehalten. Ja, das Buch ist spannend geschrieben und enthält auch viele interessante Konzepte. Aber so gut, dass es alle wichtigen SF-Preise gewonnen hat?! Wer auch mal eine ungewöhnliche Welt kennenlernen will, kann „Ancillary Justice“ auf jeden Fall lesen, aber bedingungslos empfehlen kann ich es wirklich nicht. Im Moment denke ich nicht, dass ich Buch 2 und 3 noch lesen werde.

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So, noch mal kurz drüber schauen und dann nichts wie ab damit. Vielen Dank fürs Kommentieren! :-)