Marie Brennan: Lady Trents Memoiren

Cover Band 1Rezension zu „Lady Trents Memoiren“ Band 1 bis 5 von Marie Brennan, Cross Cult Verlag

Normalerweise rezensiere ich ja einzelne Romane, nicht ganze Romanreihen. Nachdem ich Band 1 gelesen habe, war irgendwie keine Zeit dazu, nach Band 2 auch nicht, nach Band 3 auch nicht… Nun schreibe ich das, während ich gerade Band 5 angefangen habe zu lesen (und veröffentliche es Monate nach dem Ende des Buches, wie meistens). Die Bücher sind jedoch alle im Stil so ähnlich, dass man sie auch als ganzes besprechen kann.

Die Bücher im einzelnen:

  • Band 1: Die Naturgeschichte der Drachen (A Natural History of Dragons)
  • Band 2: Der Wendekreis der Schlangen (The Tropic of Serpents)
  • Band 3: Die Reise der Basilisk (Voyage of the Basilisk)
  • Band 4: Im Labyrinth der Draken (In the Labyrinth of Drakes)
  • Band 5: Im Refugium der Schwingen (Within the Sactuary of Wings)

Inhalt

Die Geschichte beginnt mit einer Einleitung von Isabella, Lady Trent, in welcher sie im hohen Alter den Leser ihrer Memoiren begrüßt. Aufgrund des ungebrochenen Interesses an ihrem Leben und ihren Abenteuern beim Erforschen von Drachen hat sie sich entschieden, eine Reihe von Memoiren zu verfassen. Diese sind durchaus als persönliche Geschichte zu verstehen. Wer an ernsthafter Drachenforschung interessiert ist – heutzutage ja ein anerkanntes Forschungsgebiet – wird von ihr auf andere, eher wissenschaftlich-nüchterne Werke verwiesen. In diesen Büchern geht es dagegen um ihren Weg vom unbedeutenden Mädchen vom Lande zu einer Ikone der Drachenforschung und Dame von Rang in der Gesellschaft Scirlands.

Band 1 beginnt mit der siebenjährigen Isabella Hendemore, welche als Tochter eines unbedeutenden Landadeligen aufwächst und Interesse an geflügelten Dingen entwickelt. Forscherin zu werden war für Frauen in der scirländischen Gesellschaft nicht vorgesehen, weswegen sie ihr Interesse an Naturkunde schon bald gegen die Suche nach einem geeigneten Ehemann eintauschen musste. Sie trifft Jacob Camherst und bricht entgegen aller Wahrscheinlichkeit zu einer Drachenforschungs-Expedition ins Ausland auf. In den Bergen Vystranas macht Isabella eine Entdeckung, die den Rest ihres Lebens prägen wird…

Bewertung

Cover Band 2Marie Brennan hat einen ganz wunderbaren Schreibstil. Ohne diese Romane je gelesen zu haben, vermute ich, dass sie sich an Romanen des 19. Jahrhunderts wie z.B. von Emily Brontë orientiert und daran, wie eine bekannte Frau damals Memoiren geschrieben hätte. So spricht sie immer wieder den Leser direkt an „geneigter Leser, Sie können sich sicher vorstellen…“. Die Romane sind zudem aus der Perspektive einer viel älteren Isabella geschrieben, und diese weist immer wieder auf Unterschiede zwischen der Gegenwart (ihrer Gegenwart sowie der des fiktiven Lesers) und ihrer Vergangenheit hin. All das ist als Stilmittel ganz wunderbar umgesetzt. Die Geschichte ist aus der Ich-Perspektive erzählt, aber nicht von einem erlebenden Ich-Erzähler, sondern von einem erzählenden Ich, eben so, wie man selbst ein Erlebnis aus der eigenen Vergangenheit beschreiben würde. Wir haben also nicht unmittelbar Anteil an Isabellas Gefühlen und Gedanken, sondern gefiltert durch die ältere Isabella. Manchmal sagt sie, sie könne sich nicht mehr genau erinnern, manchmal will sie nicht ins Detail gehen, manchmal bleibt sie absichtlich vage in ihrer Erzählung. Wie gesagt, als Stilmittel einfach sehr schön umgesetzt.

Worum geht es also in den Büchern? Es ist tatsächlich eine Lebensgeschichte. Jeder Band hat eine mehr oder weniger eigenständige Handlung, aber es zieht sich als roter Faden Isabellas Bemühung durch die Geschichte, die Drachen vor der Ausrottung zu beschützen. Dabei sehen wir Isabella an verschiedenen Punkten auf ihrem Lebensweg und wohnen kleinen und großen Veränderungen bei. Technisch gesehen würde man die Romane wohl unter „Fantasy“ einsortieren, und sie haben vorne auch jeweils eine Karte drin. Die Drachen sind dabei aber eigentlich das einzige Fantasy-Element. Der Rest der Welt ist im Prinzip unsere Welt im 19. Jahrhundert, mit neuen Namen versehen. In dieser Hinsicht sind es also mehr Abenteuerromane, mit einer großen Dosis Biographischem und Gesellschaftskritik, wenn auch Kritik an einer ausgedachten Gesellschaft.

Die Fantasy-Welt hat sich Marie Brennan meiner Meinung nach wirklich ausgedacht, indem sie auf einer echten Weltkarte neue Namen vergeben hat. Das meine ich aber gar nicht mal negativ. Auf diese Weise findet man sich relativ schnell zurecht, und kann die Pendants von England, Venedig, China, Russland etc. schnell zuordnen. Da die Welt des 19. Jahrhunderts für uns schon dermaßen weit entfernt ist, wirkt das alles trotzdem spannend und exotisch, und zwischendurch gibt es ja auch noch die Drachen. Hier und da kann man mit den vielen Namen tatsächlich mal durcheinander kommen, aber nach einer Weile ist man dann drin in dieser Welt. Kulturell geht die Autorin auch gar nicht so sehr ins Detail, sondern überlässt vieles unserer Vorstellungskraft. Man kann z.B. relativ leicht Analogien zum Islam, Christentum und Judentum ziehen, denke ich, wobei in Scirland das Pendant zum Judentum die vorherrschende Religion zu sein scheint. Scirland entspricht dabei natürlich England, das ist auch sehr deutlich so beschrieben, incl. Königshaus und Armee.

Cover Band 4Ein wichtiger Aspekt der Geschichte ist Isabellas weiblicher Blick auf die verbohrten männlichen Gelehrten. Als Frau ist es in der scirländischen Gesellschaft eigentlich nur ihr Job, jung zu heiraten, Kinder zu kriegen und nette Partys auszurichten. Eine wissenschaftliche Karriere ist ganz und gar nicht vorgesehen. Isabella lässt sich davon nicht beirren, und dieses Ausbrechen aus den vorgegebenen Rollenklischees liest sich immer wieder sehr unterhaltsam. Sie hinterlässt mehr als einen komplett entrüsteten/entsetzten/verblüfften Armeeoffizier, männlichen Gelehrten, Adeligen oder Familienangehörigen. Gleichzeitig ist das alles ja auch sehr real, sowohl im 19. Jahrhundert als auch in vielerlei Hinsicht heute noch. Das macht die Geschichte vielleicht auch so glaubwürdig: Auch wenn sie in einer Welt der Drachen spielt, beschreibt die Autorin eigentlich die ganz reale Gesellschaft des 19. Jahrhunderts und den ganz realen Kampf einer sehr kompetenten Frau, endlich ins Philosophenkolloquium aufgenommen zu werden.

Das heißt jetzt aber nicht, dass die Geschichte eine trockene feministische Abhandlung wäre. Marie Brennan versteht es auch immer wieder, den Leser zum Staunen zu bringen, mit uralten Ruinen oder wundersamen Drachengeschöpfen. Zudem erlebt die skandalträchtige und nicht immer überlegt agierende Isabella spannende Abenteuer und wird gegen ihren Willen in politische Intrigen verwickelt. Man kann dann nicht anders, als mitzufiebern, wie sie da rauskommt und wann sie endlich Lord Trent trifft. 🙂

Auch wichtig in den Bänden ist die Wissenschaft. Marie Brennan nimmt sich durchaus Zeit, die Arbeit der Drachenforscher im Detail zu schildern. Das ist spannend, und ungeachtet der Tatsache, dass es Drachen ja nicht wirklich gibt, wirkt das alles sehr authentisch beschrieben. Das mag auch daran liegen, dass die Autorin Anthropologie und Archäologie studiert hat. Sie schreibt also mit Fachwissen, wenn sie die Studien der Drachen oder die Untersuchung der drakoneischen Ruinen beschreibt. Wie bei der Schilderung der scirländischen und anderer Gesellschaften dieser Welt verleiht das der Geschichte Authentizität.

Von den fünf Bänden fand ich Band 2 und 3 am spannendsten, außerdem Band 5, weil er einen gelungenen Abschluss der Geschichte bildet. Band 1 ist naturgemäß noch nicht so vollgepackt mit Abenteuern, weil Isabella ja erst mal in die Lage versetzt werden muss, überhaupt Abenteuer erleben zu können. Band 2 dreht sich dann um eine Expedition in eine Dschungelwelt, vergleichbar mit z.B. dem Kongo. Die Realität des Überlebens dort und die vielen Strapazen sind sehr schön beschrieben. In Band 3 unternimmt Isabella eine Forschungsreise in eine hawaiianisch anmutende Inselwelt, der Titel bezieht sich sicher auf Charles Darwins Reise mit der Beagle. Hier fand ich die Auflösung sehr gelungen, zudem ist Isabellas Situation auf der Insel sehr unterhaltsam geschildert. In Band 4 geht es dann ins Pendant zu Arabien, zu den Wüstendrachen. Hier steht Isabellas persönliche Entwicklung im Vordergrund, größere Entdeckungen kommen ein bisschen als Nachgedanke daher. Band 5 bringt dann wie erwähnt eine gelungene Auflösung, die ich nicht spoilern will. Die Geschichte von Isabella, Lady Trent ist damit zu Ende erzählt, aber ein Folgeroman um die Abenteuer ihrer Enkelin ist schon erschienen.

Cover Band 3

Hervorheben möchte ich noch die Gestaltung der Bücher, die wirklich sehr gelungen ist. Es sind zwar Taschenbücher, aber mit einem etwas festeren Pappeinband, der nach innen umgeklappt ist, was ein bisschen nach Hardcover mit Schutzumschlag aussieht. Die Atmosphäre der Bücher wird perfekt eingefangen von den umlaufenden Umschlag-Illustrationen von Todd Lockwood, welche im Stil von anatomischen Betrachtungen der Drachen bzw. Reise-Skizzen gehalten sind. Auch im Innenteil des Buches gibt es einige gelungene schwarz-weiße Illustrationen vom gleichen Künstler. All das verleiht den Büchern einen etwas gehobeneren Stil.

Ein Wort noch zur Übersetzung: Ich habe die Bände auf Deutsch gelesen. Alle fünf Bände wurden von Andrea Blendl übersetzt, und sie hat einen guten Job gemacht, den ganz besonderen Schreibstil ins Deutsche zu übertragen. Subjektiv fand ich die Übersetzung in Band 4 und 5 nicht mehr so gelungen. Ich hatte dabei öfters das Gefühl, wörtlich übersetzte Redewendungen zu lesen, die man im Englischen halt so sagt, die aber niemand jemals auf Deutsch so verwenden würde. Mangels Kenntnis des Originals kann ich mich da aber irren, und es ist auch ein bisschen Meckern auf hohem Niveau. Wer mag, kann also ruhig die Übersetzung lesen.

Fazit

Wer seine Fantasy-Romane voller Elfen, Orks, Zauberei und Schlachten mag, ist hier falsch. Die Bücher sind eine Mischung aus Abenteuerroman, Lebensgeschichte und feministischer Gesellschaftskritik. Ein Blick auf eine alternative Version des 19. Jahrhunderts, aber mit Drachen. Die Heldin Isabella ist sympathisch, impulsiv und sehr glaubwürdig geschildert. Ich persönlich mochte den besonderen Memoiren-Schreibstil der Autorin und kann die Romane nur empfehlen.

Ach ja, ich hatte ja vor einiger Zeit auch mal über die Dominanz von Autoren im Vergleich zu Autorinnen im SF- und Fantasy-Bereich geschrieben. Dies ist dann also endlich mal eine bekannte und erfolgreiche Romanreihe einer Autorin. Sehr schön, bitte mehr davon.

Links

  • Webseite der Autorin – Unter Stories / Novel-related gibt es einige Kurzgeschichten aus dem Lady-Trent-Universum

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So, noch mal kurz drüber schauen und dann nichts wie ab damit. Vielen Dank fürs Kommentieren! :-)