Sir Terry Pratchett: Shaking Hands With Death

Terry PratchettHeute habe ich die diesjährige „Richard Dimbelby Lecture“ geschaut, welche am Montag auf der BBC lief und dieses Jahr von Sir Terry Pratchett gehalten wurde. Richard Dimbelby war ein britischer Journalist und Moderator, der 1965 an Krebs starb. Seit 1972 gibt es die nach ihm benannte Vortragsreihe, in der jedes Jahr einflussreiche Personen aus Politik und Wirtschaft über verschiedenste Themen sprechen. Terry Pratchetts Thema war seine Alzheimer-Erkrankung, der Umgang der Gesellschaft mit dem Tod und Sterbehilfe. Der Titel des Vortrags, „Shaking Hands With Death“, ist angesichts von Pratchetts Romanen natürlich auch mit einem Augenzwinkern gewählt.

Unter Fans hat sich sicher herumgesprochen, dass der Autor der Scheibenwelt-Romane 2007 mit einer Form von Alzheimer diagnostiziert wurde. Es ist eine seltenere Alzheimer-Form, aber Posterior Cortical Atrophy führt bei anderen Symptomen trotzdem zum gleichen Endergebnis. Terry Pratchett hat über seine Erkrankung relativ früh öffentlich gesprochen, wohl auch um das Verständnis für die Krankheit in der Öffentlichkeit zu fördern und Unterstützung für die Forschung zu gewinnen. In diesem Zusammenhang hat er auch öffentlich über Sterbehilfe gesprochen. Ich erinnere mich da zum Beispiel an einen merkwürdigen Moment im BBC-Morgenmagazin letztes Jahr, als er sinngemäß meinte, er hätte nicht vor, die schlimmsten Auswirkungen der Krankheit abzuwarten. Das ist natürlich weit jenseits des Levels an Kontroverse, was im flauschig-weichgespülten BBC Breakfast geht. 😉

In diesem Zusammenhang war ich sehr gespannt auf diesen 45-minütigen Vortrag, in dem er seine Position ausführlicher erläutern konnte. Nach einer kurzen Einleitung übergab er dabei das Wort an Tony Robinson, welcher an Pratchetts Stelle den Vortrag als „Stunt-Pratchett“ hielt, wie er meinte. Die Krankheit fordert halt u.a. beim Lesen und Schreiben ihren Tribut, was für einen Autoren natürlich doppelt bitter ist. Tony Robinson ist jedem Briten und den meisten anderen auch als Baldrick aus Rowan Atkinsons „Black Adder“ bekannt, hat in den letzten Jahren aber auch viele Dokumentationen gedreht, u.a. auch eine sehr persönliche Doku über die Demenzerkrankung seiner Mutter. Pratchetts Vortrag hielt er wirklich perfekt, ruhig, flüssig und ohne sich selber in den Vordergrund zu spielen. Man hörte einfach, dass die Worte Pratchett pur waren, auch wenn jemand anders vortrug.

Der Vortrag beginnt mit Erinnerungen an den Tod seines Großvaters und Vaters und geht dann zu Pratchetts Alzheimer-Erkrankung über. Er erzählt von der ersten Diagnose und den Auswirkungen auf seinen Alltag. All das hat er in seinem eigenen humorvollen Stil geschrieben, und das Publikum lachte natürlich an den richtigen Stellen. Aber das Wissen, dass es hier um eine reale Person geht, verschaffte dem Vortrag schon eine eigenartig bedrückte Atmosphäre, fand ich.

PCA manifests itself through sight problems, and difficulty with topological tasks, such as buttoning up a shirt. I have the opposite of a superpower; sometimes I cannot see what is there. […] I have little work-arounds to deal with this sort of thing –- people with PCA live in a world of work-arounds.

If you did not know there was anything wrong with me, you would not know there is anything wrong with me. The disease moves slowly, but you know it’s there. Imagine a very, very slow-motion car crash. Nothing much seems to be happening. There’s an occasional little bang, a crunch, a screw pops out and spins across the dashboard as if we‘re in Apollo 13. But the radio is still playing, the heater is on and it doesn’t seem all that bad, except for the certain knowledge that sooner or later you will definitely be going headfirst through the windscreen.

Der Vortrag kommt dann auch bald zum eigentlichen Thema: Sterbehilfe. Immer noch irgendwie ein Tabu-Thema und auf jeden Fall ein sehr kontrovers diskutiertes Thema. Pratchetts Gedanken dazu kommen mir sehr vernünftig und wohl begründet vor. Pratchetts Argumente sind insbesondere so nachvollziehbar, weil seine Argumentation nicht abstrakt oder akademisch ist, sondern zutiefst persönlich. Er erzählt von seinem Vater, der nicht an Schläuchen langsam dahinsiechen wollte, aber dessen Krebserkrankung seinem Leben langsam und nicht speziell würdevoll ein Ende setzte. Er vergleicht die heutige Situation mit der Vergangenheit, wo es wesentlich normaler war, dass ein Doktor das Leiden eines Patienten beendete. Insbesondere argumentiert Pratchett gegen Begriffe wie „assisted suicide“. Wenn ein unheilbar kranker Patient ohne Hoffnung auf Besserung und mit der Aussicht auf einen hässlichen Krankheitsverlauf seinem Leben selbst ein Ende setzt, würde ich das auch eher nicht als „Selbstmord“ bezeichnen. Technisch mag es der richtige Begriff sein, aber die Konnotation von „Mord“ passt einfach nicht.

Der Vortrag endet mit praktischen Überlegungen: Im US-Bundesstaat Oregon ist Sterbehilfe seit 13 Jahren legal (wusste ich noch nicht, Infos dazu finden sich z.B. bei der SZ), und das System funktioniert offenbar relativ gut, ohne dass es massenhaft zu Missbrauch der Möglichkeiten gekommen wäre. Aus anderen Ländern gibt es sicher ebenfalls Erfahrungswerte dazu. Pratchett schlägt ein System vor, bei dem sinnvoll besetzte Gremien nach sorgfältiger Abwägung jedes Einzelfalles die Verschreibung eines entsprechenden Medikamentes möglich machen würden. Das würde dann insbesondere die heute existierende Kriminalisierung von Ärzten und Angehörigen vermeiden.

Tony Robinson und Terry PratchettUnd darauf läuft es letztlich hinaus: Man muss jeden einzelnen Fall neu bewerten. Generalisierende Gegenargumente („slippery slope“) sind natürlich überzeugend und haben Gewicht, sonst hätte sich diese Debatte schon vor Jahren erledigt. Aber mit ihnen betrachtet man das Problem immer gesamtgesellschaftlich, abstrakt. Es ist eine ganz andere Sache, über das Leben eines konkreten Menschen zu sprechen. Wie gesagt, die Atmosphäre des Vortrags war aus diesem Grund etwas bedrückend, aber den Vortrag an sich fand ich sehr gut. Alle Argumente sind klar und nachvollziehbar begründet, und wenn man sich Pratchetts Situation anschaut, kann man ihm einfach nicht widersprechen. Es besteht für ihn keine Aussicht auf eine Wunderheilung, er kann quasi dabei zuschauen, wie er selber nach und nach verschwindet. Noch ist er bei klarem Verstand und in der Lage, für sich selber eine Entscheidung zu treffen. Wer will ihm das wirklich streitig machen?

Back in my early reporting days I was told that nobody has to do what the doctor tells them. […] I remember what George said and vowed that rather than let Alzheimer’s take me, I would take it. I would live my life as ever to the full and die, before the disease mounted its last attack, in my own home, in a chair on the lawn, with a brandy in my hand to wash down whatever modern version of the „Brompton cocktail“ some helpful medic could supply. And with Thomas Tallis on my iPod, I would shake hands with Death. This seems to me quite a reasonable and sensible decision for someone with a serious, incurable and debilitating disease to elect for a medically assisted death by appointment.

Alles in allem: Wirklich sehenswert! Mittlerweile findet sich die Aufnahme auch auf YouTube und anderen einschlägigen Quellen. Wen die Debatte um Sterbehilfe an sich interessiert oder wer sich für Terry Pratchett interessiert, sollte sich das anschauen oder das gekürzte Transkript beim Guardian lesen. Pratchett fügt der Debatte vermutlich keine wirklich neuen Argumente hinzu, aber er vertritt die vorhandenen Argumente aus seiner persönlichen Sichtweise einfach sehr überzeugend. Ich finde es vor allem sehr achtenswert, dass er dieses Tabuthema anpackt und öffentlich Stellung dazu bezieht. Aber wie auch immer man dazu stehen mag, es bleibt natürlich traurig, dass es gerade einen genialen Autoren wie Terry Pratchett treffen musste.

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So, noch mal kurz drüber schauen und dann nichts wie ab damit. Vielen Dank fürs Kommentieren! :-)