Liu Cixin: Die drei Sonnen

Rezension zu „Die drei Sonnen“ von Liu Cixin, 591 Seiten, Heyne Verlag, 2017, Ersterscheinung: 2006 (China)

Inhalt

1967 versinkt China im Chaos der Kulturrevolution. Die junge Ye Wenjie hat Astrophysik studiert, doch nach dem Tod ihres Vaters wird sie einer Arbeitsbrigade in der Inneren Mongolei zugeteilt. Als sie auch dort in Ungnade fällt, verschlägt es sie durch eine glückliche Fügung auf eine streng geheime Militärbasis. Nur langsam findet sie heraus, wozu die riesigen Antennen der Basis „Rotes Ufer“ dienen… 38 Jahre später wird der Wissenschaftler Wang Miao zu einer geheimen Militäroperation hinzugezogen. Er erfährt keine Einzelheiten, aber der Tod vieler anderer Wissenschaftler und andere unerklärliche Vorkommnisse scheinen mit einer Organisation namens „Frontiers of Science“ in Verbindung zu stehen. Und deren Anführerin ist Ye Wenjie…

Bewertung

„Die drei Sonnen“ kommt, wie schon „Ancillary Justice“, mit Vorschusslorbeeren auf dem Cover daher. Unter anderem hat es 2015 den Hugo Award gewonnen, und Übersetzungen dieses chinesischen Buches sind auf der ganzen Welt erfolgreich. Zwei weitere Bände der „Trisolaris“-Trilogie sind auch auf Deutsch bereits erschienen. Ich muss allerdings zugeben, dass ich bei diesem Buch gleich kein gutes Gefühl hatte. Das Ergebnis war dann ähnlich enttäuschend wie bei „Ancillary Justice“.

Mein anfängliches Unbehagen kam u.a. daher, dass mir nicht wirklich klar war, worum es eigentlich geht. Im Englischen heißt der Roman „The Three-Body Problem“, auf Deutsch „Die drei Sonnen“. Das klärt zumindest schon mal, was für „bodies“ gemeint sind. Aber wie man ja sieht, kommt beides in meiner obigen Inhaltsangabe nicht vor. Und ich habe immerhin die ersten 100 Seiten des Buches zusammengefasst. Der Klappentext verrät noch mehr, geht aber ebenfalls auf die drei Sonnen nicht ein.

Natürlich ist es legitim, eine größere Geschichte ganz langsam aufzubauen. Immerhin sind Ye Wenjie und Wang Miao ja einem großen Geheimnis auf der Spur. Aber das muss man dann auch so schreiben, dass es für den Leser fesselnd ist. Aus meiner Sicht hat Liu Cixin das nicht geschafft. Um es ganz klar zu sagen: „Die drei Sonnen“ ist meiner Meinung nach höchstens mittelmäßig geschrieben. Mehr als sonst ist natürlich die Frage, inwiefern das daran liegt, dass es sich um ein chinesisches Buch handelt. Deutsch und Chinesisch unterscheiden sich als Sprache sehr, und auch kulturell gibt es im Chinesischen sicher ganz andere Erzähltraditionen. Und nicht zuletzt könnte auch die Übersetzung einfach schlecht sein. Letzteres glaube ich allerdings nicht: Die Übersetzerin kann nichts für die mäandernde Geschichte oder die faden Charaktere. Vielleicht ist das Buch im Original sprachlich wenigstens beeindruckend. Auf Deutsch liest es sich dagegen nicht sehr aufregend.

Dabei ist die grundlegende Idee der Geschichte nicht einmal schlecht. Der Autor hat sich hier eine spannende Welt ausgedacht und hat mit dem erwähnten Spiel auch ein story-technisches Vehikel gefunden, uns diese Welt näher zu bringen. Das ist soweit eine solide SF-Idee, und wenn Netflix das verfilmt, wird man daraus vielleicht eine wirklich spannende Geschichte stricken. Aber so, wie diese Ideen hier präsentiert sind, begeistert es mich nicht. Zum einen ist lange nicht einmal klar, wer der Hauptcharakter des Buches sein soll. Ye Wenjie wird gut eingeführt, verschwindet dann aber einfach wieder. Dann kommt Wang Miao, der sehr blass bleibt, und man muss sich auf Seite 70 noch mal ganz neu in die Geschichte einfinden. Später taucht Ye Wenjie wieder auf.

Ähnlich verhält es sich mit der Geschichte: Man hat nicht wirklich das Gefühl, dass jemand hier einen Spannungsbogen geplant hat. Vielmehr beschlich mich beim Lesen das Gefühl, dass dieser Roman als Sammlung von Kurzgeschichten entstanden sein könnte. Dazu würde der hin- und herspringende Fokus der Geschichte passen, und tatsächlich steht im Impressum: „Die Originalausgabe ist […] zunächst 2006 in der Zeitschrift Science Fction World in Fortsetzungen publiziert worden“. Und so liest sich das dann leider auch: Als hätte der Autor alle paar Wochen eine neue Kurzgeschichte geschrieben, die lose auf der vorhergehenden aufbaut. Wir haben einen 70-Seitigen Prolog, der gut und gerne im Nachhinein geschrieben worden sein könnte. Dann in der Gegenwart die Story um den Tod der Wissenschaftler. Irgendwas ist an den Naturwissenschaften kaputt. Dann kommt nach 30 Seiten ein neues, ziemlich irres Element dazu. An der Stelle hatte mich der Autor dann schon etwas verloren, auch wenn er später diese Sache tatsächlich erklärt. Nach weiteren 30 Seiten widmen wir uns dann einem Online-Spiel, dem titelgebenden „Three Body“. Nun folgen sehr lange Beschreibungen, was Wang Miao in diesem Spiel erlebt. Später wechselt der Fokus erneut zu einem anderen Aspekt der Geschichte. Das alles hängt durchaus zusammen und man könnte den Roman unter vielen Spoilern tatsächlich recht kurz und knapp zusammenfassen. Aber die Art, wie die Abfolge der Ereignisse präsentiert wird, ist einfach irgendwie lieblos.

In gewisser Weise erinnert mich der Schreibstil dabei an Klassiker wie Isaac Asimov und Robert A. Heinlein, und ich meine das nicht als Kompliment. Die Art, wie die Ereignisse geschildert werden, erscheint mir ähnlich, bis dahin dass gerne auch pseudo-nüchtern aus Verhörprotokollen zitiert wird oder wir ausführlich erfahren, was auf dieser oder jener Versammlung gesagt wird. Insbesondere die immer wieder auftretenden Info-Dumps haben mich daran erinnert. Später im Buch erfahren wir ganz einfach so von jetzt auf gleich, was in der Zeit zwischen dem eröffnenden Flashback und der Gegenwarts-Handlung geschehen ist. Hier werden sehr große Entwicklungen einfach in wenigen Sätzen zusammengefasst und dem Leser hingeworfen. Gerade auch aus meiner Sicht wirklich unglaubwürdige Ereignisse kriegt man so vorgesetzt, als wäre das total logisch. Ich meine hier speziell, wie viele Menschen sich der ETO anschließen. „Show don’t tell“ geht auf jeden Fall anders!

Irgendwie exotisch ist natürlich das Setting des Romans in China, da ja chinesische Geschichten sonst nur selten ins Deutsche übersetzt werden und deutsche oder amerikanische Geschichten auch nur selten in China spielen. Die chinesischen Namen sind für den deutschen Leser natürlich eher ungewohnt, und nicht umsonst enthält das Buch vorne eine Personenliste. Die Story spielt außerdem zum Teil in der Vergangenheit Chinas. Wer sich für die jüngere Geschichte Chinas interessiert, mag das durchaus spannend finden. Autor und Übersetzerin bieten zum besseren Verständnis auch einen recht umfangreichen Anhang an, der alle möglichen Referenzen erklärt, die man sonst nicht verstehen würde.

Aber auch damit habe ich ein Problem: China ist nun mal kein neutral agierendes Land, sowohl in der Vergangenheit als in der Gegenwart. Nun ist Liu Cixin aber eben Chinese und ein erfolgreicher dazu. Insofern kann und will er sich wohl nicht politisch äußern. Jedenfalls muteten die Schilderungen der Kulturrevolution doch irgendwie so an, als hätte der Autor dabei den Leitfaden der Partei neben sich liegen gehabt, wie dieses Kapitel von Chinas Geschichte aktuell zu bewerten ist, anstatt eine eigene Meinung zu vertreten. Und so wird der Wahnsinn dieser Zeit anschaulich geschildert, aber eher wenig bewertet, und wenn dann als „Unglück“. So als wäre das aus Versehen passiert, leider, leider, und nicht ein von Menschen angerichtetes Verbrechen mit wer weiß wie vielen Toten. Regelrecht bizarr ist eine kurze Szene („apropos of nothing“, wie man im Englischen so schön sagt), in der Ye Wenjie Jahre später die damaligen Jugendlichen wiedertrifft, welche ihren Vater getötet haben, und sich zwei Seiten lang anhören darf, wie schlecht es ihnen danach ergangen ist. Das wirkt wie eine unpassende Rechtfertigung der Kulturrevolution.

Und wo wir gerade bei den chinesischen Namen waren: Das Buch gibt sich durchaus Mühe, dem Leser die Sache mit den Namen zu erklären (der Nachname steht an erster Stelle). Insofern bin ich dann aber gar nicht beeindruckt, wenn der Name des Autors ausgerechnet auf dem Cover grundlos umgedreht wird: Auf der Titelseite und im Impressum wird er korrekt „Liu Cixin“ geschrieben, auf Cover und Backcover dagegen „Cixin Liu“. Ganz ehrlich, so dumm sind wir Leser nicht, dass das nötig wäre.

Fazit

Eine solide SF-Geschichte, eher langatmig erzählt. Ich persönlich kann absolut damit leben, Teil 2 und 3 der Trilogie nicht zu lesen, und kann das Buch nicht wirklich empfehlen.

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So, noch mal kurz drüber schauen und dann nichts wie ab damit. Vielen Dank fürs Kommentieren! :-)