Filmkritik: Avatar

AvatarReview zum Film „Avatar“, USA, 2009

Regie: James Cameron, Schauspieler: Sam Worthington (Jake Sully), Zoë Saldana (Neytiri), Sigourney Weaver (Dr. Grace Augustine), Stephen Lang (Colonel Miles Quaritch), Michelle Rodriguez (Trudy Chacon)

Inhalt

Im Jahr 2154: Auf dem Planeten Pandora bauen Menschen ein wertvolles Mineral ab und gehen dabei rücksichtslos gegen die eingeborenen Na‘vi vor. Das Avatar-Projekt soll zu einer besseren Verständigung beitragen: Na‘vi-Körper wurden gezüchtet, welche von Menschen gesteuert werden können. Einer dieser Körper wurde an Tom Sully angepasst. Als dieser bei einem Raubüberfall getötet wird, bittet das Militär seinen Zwillingsbruder, die Mission an Toms Stelle auszuführen. Der querschnittsgelähmte Ex-Marine Jake nimmt den Auftrag an und fliegt nach Pandora. Auf der fremdartigen Dschungelwelt wird er in seinem Avatarkörper schon bald von seinen Kollegen getrennt und trifft auf die Na‘vi…

Bewertung

SPOILER-Alarm: Etwa ab der Mitte der Review komme ich zum Ende des Filmes und werde es auch in den nachfolgenden Absätzen immer wieder mal erwähnen. Bitte ab dort nicht weiterlesen, wenn ihr „Avatar“ noch sehen wollt.

Der bisher erfolgreichster Film aller Zeiten (nicht inflationsbereinigt). Wenn das keine Erwartungen weckt! Durch Gespräche mit Freunden und das Lesen einiger Reviews hatte ich auch eine ungefähre Vorstellung, was mich erwartet. „Visuell atemberaubend, die Story eher flach“. Und da mich eine unlogische oder zu simple Story normalerweise schon stört, war ich gespannt, was von beidem überwiegen würde. Erstaunlicherweise lautet die Antwort: keines von beidem. Yep, der erfolgreichste Film aller Zeiten – und er lässt mich irgendwie merkwürdig kalt.

Wobei ich es auch nicht zu sehr runterspielen will: „Avatar“ ist schon ein optisches Spektakel, das man ruhig gesehen haben kann, und James Cameron beherrscht sein Handwerk soweit, dass der Film einfach von den Grundlagen her gut gemacht ist. Kameraarbeit, Musik, die Schauspieler, das alles ist mindestens solide, vielfach auch wirklich gut. Aber ist das Ergebnis eine Offenbarung? Wirklich mitreißend? Revolutioniert es in irgendeiner Weise die Filmgeschichte? Kann ich nicht behaupten.

Ein Wort zu 3D: Ja, der Film arbeitet tatsächlich großflächig mit 3D-Effekten. Aber während ich das letztes Jahr bei „Cloudy With A Chance Of Meatballs“ noch sehr ansprechend fand, muss ich sagen, hätte dieser Film für mich genauso gut auch in 2D funktioniert. Dass manche Bildteile etwas näher am Zuschauer dran sind als andere hat so ziemlich gar nichts zum Filmvergnügen beigetragen und soweit ich das mitbekommen habe wurde es auch nur sehr selten auffällig, und gar nicht störend benutzt (wie in einem der Trailer vor dem Film, wo jemand als Schockeffekt irgendwas auf den Zuschauer wirft). Man sollte den Film aber schon auf der großen Leinwand sehen, die umwerfende Optik Pandoras wirkt sicher nicht halb so gut auf einem kleinformatigen TV.

Ok, kommen wir zu Pandora und den Na‘vi. Optisch hatte ich schon gesagt ist das spektakulär. Der Abspann gibt einen Eindruck davon, was für Aufwand im Rendern des quietschbunten Dschungels gesteckt haben muss, und ja das ist schon hübsch anzusehen. Man hat auch sehr viele interessante Kreaturen geschaffen, etwa die Reittiere der Na‘vi, die mich irgendwie an Seepferdchen erinnerten. Die Na‘vi selber sind wohl Gollum-artig alle am Rechner entstanden, aber mit sehr genauem Motion-Capturing. Man kann es ehrlich gesagt nicht mal genau sagen als Zuschauer. In manchen Actionszenen dachte ich schon, da haben sie der Schauspielerin jetzt aber falsche Ohren angesteckt und sie blau angemalt. Dass man es nicht sagen kann und es auch nicht auffällt beim Schauen ist sicher ein Qualitätsmerkmal. Man denkt nicht wirklich darüber nach, ob die ganzen Blauen nun echt sind oder nicht, und falls sie es nicht sind, sind Mimik und Gestik wirklich gelungen. In dieser Hinsicht revolutioniert „Avatar“ vielleicht nicht die Filmgeschichte (das hat z.B. Gollum vor acht Jahren getan oder die Matrix vor elf), setzt aber durchaus sehr hohe Maßstäbe des technisch Machbaren.

An der vielen CGI stört mich aber etwas anderes: Die Macher sind in die übliche CGI-Falle getappt, alles umzusetzen was sie umsetzen können ohne dabei daran zu denken, ob das sinnvoll oder realistisch ist. Den Na‘vi lasse ich es z.B. durchgehen, dass sie sich schwindelfrei von einem Ast zum nächsten schwingen, aber Jake Sully in seinem frisch erworbenen Körper?! Klar, das kann man schön damit wegerklären, dass das alles in den Na‘vi-Genen steckt. Aber mir als Zuschauer fällt die Identifikation sehr schwer, wenn ich das Gefühl habe, dass für den Charakter die normalen Gesetze der Physik nicht gelten genau wie die normalen Realitäten des Lebens. Dass es weh tut, wenn man aus 100 Metern Höhe abstürzt und der Sturz dabei von 50 Ästen unsanft gebremst wird. Dass in 100 Metern Höhe auch mal heftigerer Wind herrschen kann. Dass es anstrengend und gruselig sein kann, an einer Wurzel wer-weiß-wie-viele hundert Meter über dem Boden empor zu klettern. Insbesondere der Umgang mit Höhe war für einen Film, der dermaßen exzessiv damit spielt, unglaublich unglaubwürdig. Und um das mal in einen Kontext zu setzen: Ich zocke gerade „Mini Ninja“ auf der X-Box durch, und in einer Szene muss ich meinen Ninja über ein Seil von einem Gebäude zum nächsten steuern. Dabei hatte ich tatsächlich einen Anflug von Höhenangst, auch beim zweiten Spielen des Levels noch! 😉 Bei „Avatar“ nicht.

Dass es auch anders geht beweist im übrigen eine Szene vom Ende des Filmes: Da liegt Neytiri unter einem toten Riesentier. Vom Stil des restlichen Filmes her hätte ich jetzt erwartet, dass sie sich elfengleich und mühelos darunter hervorwindet, und ab zurück in den Kampf. Aber hier hat man sich zur Abwechslung mal für eine Dosis Realismus entschieden, und so braucht Neytiri größere Anstrengungen, um unter dem Koloss hervorzukriechen. Dass gibt einem als Zuschauer das Gefühl, dass man sich in diesem Moment mit ihr identifizieren kann, und man vergisst tatsächlich, dass beide Bestandteile der Szene animiert sind.

Ok, soweit zum Handwerklichen. Zu den Schauspielern will ich nicht viel sagen. Zoë Saldana macht ihren Job als Neytiri exzellent, ihr Charakter ist der mit Abstand glaubwürdigste des Filmes. Sam Worthington spielt zumindest nicht schlecht, er hätte aber ein deutlich besseres Script benötigt. Ansonsten fiel mir noch Michelle Rodriguez positiv auf. Ihr Part war klein, aber ihre Szenen immer unterhaltsam.

Der einzig andere wichtige Aspekt an „Avatar“ ist meiner Meinung nach die Story, und es ist mir wirklich unbegreiflich, wie es bei so einem riesigen Projekt, dass so genial umgesetzt ist, passieren kann, dass die Story so flach ist. Sie ist auf den ersten Blick nicht mal schlecht im Sinne des Wortes, nur unheimlich flach. Die Bösen sind böse, die Guten sind gut, Ende der Geschichte. Keine Abstufung, kein Hinterfragen, nichts. Und dabei wäre es so einfach gewesen, das Ganze wenigstens etwas lebensnaher zu machen. Colonel Quaritch und der Vertreter der Schürffirma hätten z.B. nicht so entsetzliche Karikaturen typischer Filmbösewichte sein müssen. Um mal wahllos eine Möglichkeit in den Raum zu werfen: Anstatt das Technobabble-Mineral, nach dem da geschürft wird, einfach nur wertvoll sein zu lassen ohne weitere Begründung wieso, hätte dieses Mineral doch die interstellare Raumfahrt ermöglichen können (Dilithium lässt grüßen) oder ein richtig tolles Heilmittel für eine Seuche sein können. Ja, da hätten wir spontan schon mal eine glaubwürdige Motivation für die beiden. Aber nein, es geht um Geldsucht und Militarismus, und das muss reichen.

Und das ist irgendwie symptomatisch für den Film: Die Geschichte probiert nicht mal, realistisch oder clever zu sein. Offensichtlich wird es, als die Charaktere zum fliegenden Gebirge kommen. An der Stelle verwandelt sich „Avatar“ urplötzlich von einem SF-Film zu einem Fantasyfilm. Hallo, fliegendes Gebirge?! Und niemand wundert sich darüber? Jake fragt nicht mal nach, wie das funktionieren soll? Da in etwa hatten sie mich so halbwegs verloren. Auch so ein Symptom: Auch wenn Pandora wohl eigentlich ein Mond ist, ist es schon ein großer Mond (hat ja eine brauchbare Schwerkraft). Aber klar, das einzige Vorkommen des Wunderminerals, das sich abzubauen lohnt, liegt ausgerechnet unter dem Baum der Na‘vi, und das heiligste Heiligtum liegt keine Tagesreise entfernt. Dass es noch andere Na‘vi-Gruppen gibt, wird später im Film deutlich, aber prinzipiell wird hier wieder mal ein planetenweiter Konflikt auf die Größe eines einzigen Dorfes herunterskaliert, ohne das wirklich zu begründen. Wenn nun das Mineral Bestandteil des Heiligtums gewesen wäre, ja dann…

In die gleiche Richtung geht das Ende (so, ab hier – SPOILER – ). Auf den ersten Blick wirkt das Ende angemessen. Die Na‘vi haben hart gekämpft und eben gewonnen, super. Auf den zweiten Blick ist das Schwachsinn: Die Soldaten werden also in ihre Raumschiffe geleitet und dann was? Wer hindert sie daran, aus dem Orbit den Planeten platt zu bomben, wie Wortvogel in seiner Review ganz richtig anmerkte?! Oder eben in zehn Jahren mit einem größeren Kriegsschiff wiederzukommen?! Das ist eher eine billige Art, sich aus der Verantwortung für ein gutes Ende zu stehlen.

Die grundlegende Story ist ja die von „Pocahontas“ oder „Der mit dem Wolf tanzt“. Den Vergleich mit letzterem Film finde ich interessant, denn (ganz ohne CGI) hat er fast die gleiche Story so viel besser erzählt. John Dunbars Transformation zum Sioux war glaubwürdig in der Art wie sie erzählt wurde. Bei Jake Sully bin ich nicht sicher, wieso er sein altes Leben so leicht hinter sich lässt. John Dunbars Sioux wurden nicht als „Edle Wilde“ präsentiert, sondern als ganz reale Menschen mit allen Macken, die Menschen eben so haben. Die Na‘vi sind dagegen irgendwie nicht sehr lebensecht: Alle jung, schlank, schwindelfrei und furchtlos. Klar, es sind Aliens, James Cameron kann sie sich ausdenken wie er will. Aber das entfernt sie halt vom Zuschauer, finde ich. Und insbesondere gegen Ende fällt der Unterschied auf: John Dunbar weiß, dass er 5 Soldaten töten kann oder 10 oder 100, aber dass er den Krieg nicht gewinnen kann. Das Ende von „Der mit dem Wolf tanzt“ ist traurig, weil man genau weiß, dass die Charaktere sich mit ihrer Flucht vielleicht zehn Jahre erkaufen. Jeder weiß, wie die Geschichte ausgegangen ist. Unter ähnlichen Voraussetzungen präsentiert James Cameron uns dagegen ein scheinbar perfektes Happy End, das angesichts der gezeigten technischen Möglichkeiten der Menschen einfach nicht glaubwürdig ist. Da hätte er tiefer in die Trickkiste greifen müssen.

Ok, insofern die halbwegs offensichtlichen Kritikpunkte. Man kann aber auch noch etwas tiefer schauen. Ich finde zum Beispiel den Umgang mit Jake Sullys Behinderung sehr merkwürdig. Was ist das für eine Message für behinderte Menschen, wenn sie da sehen, dass man als Querschnittsgelähmter quasi nutzlos ist, wenn man nicht zufällig die tolle Avatar-Steuerung zur Hand hat? Sicher, Sully wird als halbwegs unabhängig dargestellt, er lässt sich nicht helfen mit seinen Beinen oder dem Rollstuhl. Und es gibt eine nette Szene, als er zum ersten Mal den Avatar steuert und alle Anordnungen missachtend einfach losläuft. Das war schön gemacht, fast schon einfühlsam. Aber da hört es dann leider auch schon wieder auf. Wir erfahren nichts über die Ursprünge seiner Verletzung, keine Gedanken oder Gefühle, die er selber zu seinem Zustand hat, keine Art von Überlegung, ob er tatsächlich seinen eigenen Körper aufgeben, ihn sterben lassen soll. Wofür er sich ja durchaus entscheiden mag, nur entscheidet er sich eben nicht sichtbar, es passiert einfach, als müsste es so sein. Und das finde ich dann schon Schade und bedenklich.

Einen weiteren Kritikpunkt an der übersimplifizierten Story stellt der grundlegende Konflikt dar. Dieser ist ja nicht aus der Luft gegriffen, er ist real für unzählige Menschen. Im Amazonas-Gebiet werden Menschen von ihren Ländern vertrieben, damit große Firmen den Wald ausbeuten können. In China werden riesige Landstriche zwangsentvölkert und zu Stauseen geflutet. Irgendwie hätte ich es da schön gefunden, wenn der Film diesen Konflikt etwas ernster genommen hätte, vielleicht gar brauchbare Lösungsansätze präsentiert hätte. Mehr als auf Gewalt mit größerer Gewalt zu reagieren hat „Avatar“ leider nicht anzubieten. Und da der Amazonas-Dschungel leider nicht mit riesigen Sauriern in den Kampf eingreifen kann, bleibt „Avatar“ da jede brauchbare Antwort schuldig. Was das betrifft, ist „Avatar“ wirklich hirnloses Popcorn-Kino, dass sich selbst weder ernst nimmt noch auf unterhaltsame Art nicht ernst nimmt.

Fazit

Ein optisches Spektakel, das in 3D wie in 2D Maßstäbe setzt. Die Schauspieler und Produktionswerte machen den Film durchaus sehenswert, aber die Story ist lachhaft eindimensional. James Cameron hat mit „Avatar“ ein halbwegs vergnügliches Action-Kinoabenteuer geschaffen, aber er erschafft sicher keine faszinierende Mythologie, die nach dem Kinobesuch haften bleibt. Gehirn bitte am Eingang abgeben, Dankeschön. 🙂

P.S.: Und je mehr ich über „Avatar“ nachdenke, desto ärgerlicher wird der Film. Habe meine Wertung gerade mal von ursprünglich 3.5/5 auf 3/5 reduziert.

P.P.S.: Noch mal einige Monate später, und ich bin ernsthaft versucht, das auf 2.5/5 zu reduzieren. Der optisch opulente Eindruck eines solchen Filmes verblasst im Gedächtnis halt schnell, während eine geniale Story oder mitreißende Charaktere haften bleiben. Avatar hat nichts davon zu bieten und hält sich eigentlich nur durch die wirklich ärgerlichen Schwächen in Erinnerung…

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So, noch mal kurz drüber schauen und dann nichts wie ab damit. Vielen Dank fürs Kommentieren! :-)