Sein oder Nichtsein

David Tennant als HamletDas war die Frage für uns an einem Freitag Anfang August (diesen Text hier habe ich leider viel zu lange unfertig liegen gelassen). Eigentlich war es die Frage für David Tennant, der in Stratford-upon-Avon als Hamlet auf der Bühne steht. Angekündigt wurde die Produktion der Royal Shakespeare Company unter der Regie von Gregory Doran schon im letzten Herbst. Weil der Start des öffentlichen Kartenverkaufs mitten in meinen Umzug fiel, hatte ich mich viel zu lange nicht um Karten gekümmert. Aber Anfang November, glaube ich, haben wir dann doch noch Tickets für die Vorstellung bekommen. Wir haben uns lange Zeit gefragt, wieso ausgerechnet an diesem einen Freitag von allen Wochenenden der kompletten Spielzeit noch gute Plätze verfügbar waren. Mittlerweile ist uns aufgegangen, dass wir uns da wohl bei den Olympischen Spielen bedanken dürfen, deren Eröffnung an diesem Freitag Nachmittag lief.

Also, Hamlet. Ich muss zugeben, ich mag das Stück eigentlich nicht. Wir haben es im Deutschunterricht vor Jahren wochenlang durchgekaut, inklusive des Vergnügens, DEN MONOLOG auswendig lernen und vortragen zu dürfen. Ich mag es trotzdem nicht. Die Charaktere ergeben für mich größtenteils wenig Sinn, und am Ende sind sie dann alle tot. Na toll.

Andererseits: David Tennant und Patrick Stewart! Zusammen auf der Bühne! In einem Shakespeare-Stück in Stratford! Da überlegt man dann trotz dieser Abneigung nicht zweimal. Schließlich stand ein ordentlicher Theaterbesuch sowieso auf unserem Plan für die Jahre hier in Großbritannien, und Patrick Stewart mal live auf der Bühne zu sehen, ist auch schon seit langem angedacht (zur FedCon hat er es bisher ja nicht geschafft). Und seit wir letztes Jahr mit Doctor Who angefangen haben, sind wir natürlich beide auch Fans von David Tennant. Dazu kommt die Chance, sich Stratford-upon-Avon anzuschauen, die Geburtsstadt von William Shakespeare.

Stratford selbst ist eine kleine Stadt, mitten im südlichen England und um die zwei Stunden von Cardiff entfernt. Sie liegt am Avon, der von dort aus nach Südwesten in den Severn fließt. Die Stadt selbst ist nett und überschaubar, war an diesem Freitag aber schon recht gut mit Besuchern gefüllt. Ein guter Teil davon schien wegen Hamlet gekommen zu sein, zumindest meinte die Besitzerin unseres Bed & Breakfasts, es würde sich momentan alles um das Stück drehen.

The Courtyard TheatreAufgeführt wurde Hamlet im „Courtyard Theatre“, da das traditionelle Theater „The Swan“ gerade im Umbau ist. Das Courtyard Theatre liegt ein paar Meter die Straße hinunter, ebenfalls am Avon und wurde wohl nur für die Übergangszeit errichtet. Das Foyer ist außen noch nett holzverkleidet, aber rechts davon und zum Glück größtenteils von Bäumen verdeckt präsentiert sich das eigentliche Theater als angerosteter Stahlkasten ohne jegliche Architektur. Innen ist es dagegen nett gestaltet und hat vor allem praktisch keine schlechten Plätze. Der Innenraum wird von der quadratischen Bühne dominiert. An drei Seiten davon erstrecken sich die Sitzplätze über drei Ebenen, unten mit sieben Reihen, oben mit jeweils drei Reihen. Das sind gar nicht mal so viele Plätze, garantiert aber von fast allen Plätzen beste Sicht. Und das Theater war auch an diesem Abend wohl ausverkauft, während es im Foyer eine kleine Schlange für zurückgegebene Tickets gab.

Am Theater kann man sich eigentlich nur über eine Sache beschweren: Die Sitze waren furchtbar unbequem! Wenn man gemütliche Kinositze mit Armlehne und Getränkehalter gewohnt ist, war das schon eine Umstellung: Auf die wenigen verfügbaren Reihen wurde eine maximale Anzahl von möglichst schmalen Sitzen gequetscht, und Armlehnen waren dabei nur in einigen Reihen angedeutet. Die zwei Stunden bis zur Pause waren darauf nicht wirklich ein Vergnügen.

Ok, Hamlet also. Kurz nach 19.15 Uhr ging es los, der Saal verdunkelte sich und eine Wache betrat die Bühne. Das Stück war mit um die drei Stunden nicht gerade kurz, aber durchaus an einigen Stellen gekürzt. Ansonsten fiel zuerst auf, dass die Inszenierung aus einer modernen Ausstattung kombiniert mit dem Originaltext bestand. So hatten die Wachen Gewehre und Taschenlampen dabei und die meisten Charaktere trugen keine historischen Kostüme. Das funktionierte erstaunlich gut, aber dazu gleich mehr.

Nach den Wachen und Horatio betrat dann David Tennant als Hamlet die Bühne. Prinzipiell eignet er sich für den Charakter hervorragend, denke ich. Er hat das Jugendliche eines Hamlet, aber auch den leicht manischen Hauch. Und er hat die Rolle im Rahmen ihrer von Shakespeare vorgegebenen Restriktionen wirklich gut rübergebracht. Das erwähnte Fehlen historischer Kostüme führte leider dazu, dass Hamlet größtenteils im Smoking zu sehen war, was es doch schwerer machte, Tennant nicht als Doctor Who zu sehen. Immerhin, es gab keine roten Turnschuhe, eher turnte Tennant zeitweise barfuß über die Bühne.

Patrick Stewart als ClaudiusEin oder zwei Szenen später betrat dann auch Patrick Stewart die Bühne, als Hamlets Onkel Claudius. Genaugenommen war er aber vorher schon zu sehen gewesen, denn Stewart spielte nebenbei auch die Rolle des Geistes von Hamlets Vater. Auch Stewart trug als König größtenteils formale Abendgarderobe, was ein wenig an Professor Xavier aber ansonsten nicht zu sehr an Captain Picard erinnerte. Sowohl Tennant als auch Stewart sind erfahrene Theater-Schauspieler (auch wenn Patrick Stewart natürlich zwanzig oder dreißig Jahre Erfahrung mehr hat), und es machte wirklich Spaß den beiden zuzusehen.

Neben den beiden Stars Stewart und Tennant waren ein gutes Dutzend Schauspieler zu sehen, von Anfängern in ihrer ersten Saison mit der RSC bis zu alten Hasen. Spontan bekannt kam mir David Ajala vor, den ich kurz zuvor in „The Dark Knight“ gesehen hatte, während Diana Oliver Ford Davies wiedererkannte und richtig den neueren Star-Wars-Filmen zuordnete (er spielte den Kanzler von Naboo). Überraschenderweise lieferte auch ausgerechnet Oliver Ford Davis die beste Performance des Stücks ab, fand ich. Alle Schauspieler haben ihre Rollen gut gespielt, manche auch sehr gut (Mariah Gale etwa gab als Ophelia wirklich alles), aber Davis fiel aus Polonius durchaus etwas aus dem Rahmen, denn er schaffte es aus diesem eigentlich absolut langweiligen Nebencharakter wirklich etwas herauszuholen. Sein Polonius sorgte immer wieder für Heiterkeit beim Publikum, wenn er mitten im Satz hörbar begann gedanklich abzuschweifen, sich Aufzählungen in die Länge zogen und schließlich verwirrt abgebrochen wurden. Dieser leicht verwirrte Polonius war wirklich liebenswert dargestellt und man hatte das Gefühl, dass hier der Schauspieler tatsächlich einem eigentlich blassen Charakter durch ein paar kleine Tricks Leben einhaucht. Gut, das kann natürlich auch aus dem Script kommen, aber ich fand es auf jeden Fall gelungen.

Sehr gelungen fand ich auch die ganze Inszenierung des Stücks. Ich bin kein wirklich erfahrener Theatergänger, deswegen kann ich nicht beurteilen inwiefern das eine wirklich kreative Umsetzung ist und was daran vielleicht Standard oder die ganz normale Theater-Magie ist. Als TV- und Kino-Fan fand ich es jedenfalls toll, mit wie spärlicher Ausstattung die Bühne zum Leben erwachte. Eine nächtliche Szene außerhalb des Schlosses? Das Licht wurde einfach abgeschaltet und die Schauspieler liefen mit Taschenlampen über die dunkle Bühne. Man hat nicht viel gesehen, aber die Atmosphäre dieser Szene hat absolut gestimmt. Der Thronsaal des Schlosses? Es kamen einfach sechs Kronleuchter von der Decke gefahren. Das war’s, keine Deko wenn sie nicht benötigt wurde, später erst kam der Thron dazu. Und trotzdem spielte die Szene ganz selbstverständlich im Thronsaal des Schlosses, die Leuchter reichten dafür wirklich aus.

Polonius und OpheliaSpäter wurde noch das ein oder andere Möbelstück über die Bühne geschoben, aber doch meist eher spärlich. Eine größere Rolle spielte eine riesige Spiegelwand, hinter der Polonius sein Ende fand und die fortan ein Riss vom Boden bis zur Decke zierte, da Hamlet in dieser Version nicht zum Degen sondern zur Pistole griff. Und ebenfalls sehr gelungen fand ich die Szene mit dem Totengräber: Hier wurde beim Szenenwechsel schnell ein Stück Rasen auf die Bühne gerollt, und ehe man wirklich sah, was passierte, tauchte plötzlich ein Kopf aus dem Rasenstück mit dem offenen Grab auf. Da hatte man die Graböffnung geschickt über eine Öffnung im Bühnenboden gelegt, so dass der Totengräber (ebenfalls ein sehr witziger und gut gespielter Charakter, aber dieser Witz steckte ja schon im Stück) tatsächlich bis zu den Schultern in dem Grab stehen konnte. Sehr einfach, aber wie ich fand doch sehr effektiv.

Noch gewagter wurde es gegen Ende: Die norwegische Armee seilte sich in voller Kampfmontur zu Helikoptergeräuschen von der Decke ab. Genau wie der Rest der Kostüme passte das auf eigentümliche Weise gut zum Stück und zur Inszenierung, trotz des klassischen Textes. Vielleicht auch gerade, weil man keine große Show daraus machte. Nur in einer Szene brach die Modernität für einen Moment in das Stück ein, als Ophelia im Koffer ihres abreisenden Bruders eine Packung Kondome fand. 😉

In dieser Hinsicht ergab sich übrigens auch ein hübscher Kontrast als später im Stück die Schauspielertruppe an den Hof kam und ein Stück aufführte: Dieses war nämlich komplett klassisch gehalten, incl. riesigen Röcken und dramatisch geschminkten Männern in Frauenrollen. Durch den leicht übertriebenen Stil war es als Stück im Stück erkennbar, und die völlig andere Ausstattung hob es noch mal ein Stück weiter ab.

Alles in allem war es trotz der unbequemen Sitze ein kurzweiliger Abend und der Ausflug nach Stratford hat sich für „Hamlet“ absolut gelohnt. Nach dem Ende der Vorstellung warteten wir übrigens noch kurz an der Stage Door. Leider nicht allein, sondern mit hundert oder mehr Doctor-Who-Fans (nehme ich mal an), von denen die meisten schneller als wir gewesen waren. Es fühlte sich fast etwas lächerlich an, da im beginnenden Nieselregen zu warten, aber nach einigen Minuten kam dann tatsächlich David Tennant kurz raus und unterschrieb schnell was ihm vorne an der Absperrung so gereicht wurde. Leider standen wir eher so in der fünften Reihe und hatten keine Chance, ihn zu erreichen. Trotzdem war das ein witziger Abschluss des Abends. 😉

Ein Gedanke zu „Sein oder Nichtsein

  1. Hi JR!

    Ach, ist das lustig: Du denkst an Captain Picard und Diana an Star Wars. 😉 Ihr seid wirklich ein gutes Team!

    Liebe Grüße,
    Kaineus.

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So, noch mal kurz drüber schauen und dann nichts wie ab damit. Vielen Dank fürs Kommentieren! :-)