Kai Meyer: Die Seiten der Welt

Die Seiten der WeltRezension zu „Die Seiten der Welt“ von Kai Meyer, 556 Seiten, Fischer Taschenbuch, 2017

Inhalt

Furia Salamandra Faerfax entstammt der alten Familie der Rosenkreutz, welche seit Jahrzehnten auf der Flucht vor der mächtigen Adamitischen Akademie ist. Furias Vater Tiberius ist ein Bibliomant – er kann die Seiten seines Seelenbuches spalten und damit vielfältige Magie wirken. Die Akademie beherrscht die Welt der Bibliomanten mit eiserner Hand, sowohl in der „echten“ Welt als auch in den verborgenen Refugien, geheimen Weltenbruchstücken, erschaffen aus reiner Büchermagie.

Furia ist 15 und sucht noch nach ihrem Seelenbuch. Ihr Leben ist aber auch so phantastisch: Oft streift sie durch die unendliche Bibliothek im Keller ihres geheimen Anwesens in den Cotswolds, kämpft gegen Schimmelrochen und unterhält sich über ein Buch mit einem Jungen aus der fernen Vergangenheit. Sie begleitet jedoch auch ihren Vater auf Expeditionen, um die Leeren Bücher zu finden und zu zerstören. Diese Bücher wurden einst erschaffen, um damit alle Bücher der Welt zu vernichten, was das Ende der Bibliomantik bedeuten würde. Auf einer dieser Missionen gerät Furias Welt aus den Fugen: Die Akademie und andere mächtige Feinde nehmen ihre Spur auf, und es ist fortan an Furia, das Erbe ihrer Familie, das Leben ihres Bruders Pip und letztlich die ganze Welt der Bibliomantik zu beschützen…

Bewertung

„Die Seiten der Welt“ ist ein außergewöhnliches Buch. Kai Meyer hat hier so viele Einfälle verarbeitet, dass man sie in einer kurzen Inhaltsangabe nicht mal annähernd auch nur alle erwähnen kann. Dabei erzählt er aber gleichzeitig auch eine spannende Geschichte mit toll und eingängig geschilderten Charakteren. Mittlerweile ist die ursprüngliche Trilogie abgeschlossen, und alles, was ich hier zu Band 1 schreibe gilt auch für Band 2 („Nachtland“) und 3 („Blutbuch““). Außerdem gibt es weitere Romane aus Furias Welt, die wohl als Prequel angelegt sind, die ich aber noch lesen muss.

Mit das wichtigste an diesen Büchern ist aus meiner Sicht, dass aus ihnen eine absolute Liebe zu Geschichten und mehr noch zu Büchern spricht. Das hatte ich ja letztens schon kurz angesprochen, und daraus kreiert der Autor eine phantastische Welt, die auf gewisse Weise der von Jasper Fforde ähnelt. Hier tauchen die Charaktere aber nicht in die Welt der Bücher ein. Stattdessen können sie die Magie der Bücher nutzen („ein Seitenherz spalten“ klingt sehr nach Kernspaltung), um zwischen zwei Büchern in unserer Welt zu teleportieren (aber nur wenn es die gleiche Ausgabe und Auflage ist), Feuerbälle zu schleudern, zu schweben etc. Und es gibt die Refugien, Orte jenseits unserer Welt. Dort existieren phantastische Orte, die komplett von der Akademie beherrscht werden. Schön ist dabei, dass Bibliomantik nur funktioniert, wenn die Charaktere ebenfalls Bücher lieben. Bücher zu zerstören, tut also auch ihnen weh und schwächt ihre Kräfte.

Zu den vielen tollen Einfällen gehören auch die Ex-Libri: Aus unerklärten Gründen fallen ab und an Charaktere aus Büchern und materialisieren sich als echte Menschen. In den Refugien leben deshalb in Ghettos eingesperrt alle möglichen Charaktere von Shakespeare, Dickens, aber auch aus unbekannten Liebesschnulzen. Die ungeliebten Ex-Libri leben als Bürger zweiter Klasse, und ein guter Teil der Geschichte dreht sich um ihren Kampf um Freiheit. Neben all diese tollen Einfälle stellt der Autor immer noch andere Ideen, viele anfangs auch nur angerissen und als Dekoration dieser bunten Welt dienend. Über den geheimnisvollen Siebenstern erfahren wir anfangs genauso wenig wie über den Krieg in den Nachtrefugien, in dem einst auch Furias Vater kämpfte. Mit am besten haben mir aber die Kallistas gefallen: Wenn man das Seelenbuch eines gestorbenen Bibliomanten einpflanzt, wächst daraus manchmal ein Wesen, das tagsüber eine Art Mensch und nachts ein Baum ist. Außerdem ist natürlich Furias Seelenbuch der absolute Hit. Das Teil alleine würde eine Verfilmung rechtfertigen!

Einfach nur tolle Ideen reichen aber nicht für ein herausragendes Buch. Kai Meyer versteht es auch, lebendige Charaktere zu schildern, deren Schicksal einen tatsächlich interessiert. Und das hört auch nicht beim Hauptcharakter Furia sowie ihren neuen Freunden auf. Auch die Nebencharaktere wie z.B. Furias Hausangestellte oder ihr Bruder Pip werden sehr einfühlsam geschildert. In Band 1 sind die Gegner dafür noch etwas schematisch geraten. Aber mit Band 2 und 3 werden die Gegenspieler auch nachvollziehbar geschildert und sind nicht nur schablonenhafte 0-8-15-Bösewichte.

Zu einem tollen Buch gehört als drittes aber auch eine brauchbare Struktur. Auch das kriegt Kai Meyer hin. Alle drei Bände haben eine in sich logische und abgeschlossene Geschichte mit einem erkennbaren Spannungsbogen. Zusammen ergeben sie ein ebenfalls stimmiges Bild von Furias Entwicklung. Der Autor beschränkt sich dabei nicht darauf, in der einmal etablierten Welt nur kleine Brötchen zu backen, sondern setzt auch zu großen Pinselstrichen an. Neues wird eingeführt, altes in die Luft gejagt, aber immer bleibt die Welt nachvollziehbar und glaubwürdig (wenn man die Magie der Bücher grundsätzlich glaubwürdig findet). Noch am meisten Probleme hatte ich glaube ich mit der Verwandlung von Isis und dem Absolon-Buch in den späteren Bänden. Generell scheint mir der Charakter der Isis ein bisschen herauszuragen aus dem restlichen Cast, aber das ist meckern auf hohem Niveau. Nicht unerwähnt lassen möchte ich, dass Kai Meyer auch seine Charaktere nicht mit Samthandschuhen anfasst. Die Gefahr für Furia und ihre Freunde wird schon deutlich geschildert, und das alles geht nicht ohne Opfer ab. „Die Seiten der Welt“ sind also nicht die Art Buch, wo die Helden die absurdesten Gefahren ohne einen Kratzer überleben. Hier gibt es jede Menge Kratzer und ein paar Beerdigungen, und das macht das Buch stärker.

Fazit

Kai Meyer erzählt eine spannende Geschichte mit tollen Charakteren. Wer Bücher auch nur ein bisschen mag und etwas für phantastische Geschichten übrig hat, sollte hier zugreifen. Man kann prinzipiell Band 1 auch als abgeschlossene Geschichte lesen, aber die Chance, dass man danach auch Band 2 und 3 lesen wollen wird, ist schon sehr groß.

2 Gedanken zu „Kai Meyer: Die Seiten der Welt

  1. Danke für Deine Rezension, lieber Johannes!

    Da muß ich wohl doch noch Band 2 und 3 lesen – habe gestern Band 1 fertiggelesen. Wenn man nur Band 1 kennt, prasseln einem die vielen wunderbaren Ideen zwar entgegen, aber durch die viele Action, hat man keine Zeit, über diese Ideen gründlicher nachzudenken, denn sie werden ja erst einmal nur eingestreut, aber nicht ausführlich z.B. von den Charakteren für den Leser diskutiert (zum Beispiel hätte ich gerne einer Sitzund der Adamitischen Akademie beigewohnt, die so oft erwähnt wird, aber nur tröpfchenweise und teilweise klar wird, was sie tut und warum; da ist z.B. das Zaubereiministerium in Harry Potter präsenter). Etwas mehr Zeit für Philosophie und etwas weniger Action hätte mir da besser gefallen. Das ändert sich ja vielleicht mit dem Rest der Story. 😉
    Ansonsten ließ es sich wirklich schön und flüssig lesen, die Welt ist spannend aufgebaut und die angerissenen vielfältigen Ideen sind klasse.

    Danke nochmal für den Buchtip und das Buch!
    LG,
    Kaineus.

  2. Ein bisschen kann ich den Kritikpunkt nachvollziehen. Der Autor hat wirklich viel in die Geschichten reingepackt. An manchen Stellen wäre etwas mehr Detailtiefe schöner gewesen. Band 2 und 3 bringen zwar wieder viele eigene, neue Ideen mit sich, aber Kai Meyer nimmt sich auch die Zeit, z.B. die Akademie näher zu erkunden. In der Hinsicht solltest Du nicht enttäuscht werden, denke ich.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Bitte beachte die Kommentarregeln: 1) Kein Spam, und bitte höflich bleiben. 2) Ins Namensfeld gehört ein Name. Gerne ein Pseudonym, aber bitte keine Keywords. 3) Keine kommerziellen Links, außer es hat Bezug zum Beitrag. mehr Details...

So, noch mal kurz drüber schauen und dann nichts wie ab damit. Vielen Dank fürs Kommentieren! :-)