Britische Politik: Tuition Fees und Jenny Willot

Ich muss zugeben, in der Regel weiß ich nicht, wer mich überhaupt im Bundestag vertritt. Wenn man sich dafür interessiert, kann man es natürlich bei abgeordnetenwatch.de herausfinden. Hier in Cardiff hatten wir die Wahl im Mai dagegen aufmerksam verfolgt und uns auch gefreut, dass Jenny Willot von den Lib-Dems gewonnen hatte (für Cardiff Central, wo wir dazu zählen, auch wenn wir nicht abstimmen durften).

Irgendwie sind gerade die Lib-Dems in Cardiff sehr präsent und man kriegt alle Nase lang Flyer durch die Tür, was sie so gerade treiben. Das kann man als Selbstbeweihräucherung und Dauer-Wahlkampf sehen, aber ich habe schon den Eindruck, dass da auch wirklich gearbeitet wird und dass es Cardiff gut getan hat, dass seit 2004 die Lib-Dems die Mehrheit im County Council haben. Entsprechend ging bei der General Election auch der Sitz von Cardiff Central an einen Lib-Dem-Kandidaten.

An und für sich mag ich die Lib-Dems als Partei, die Koalition mit den Konservativen ist allerdings Schade und ich hätte sie vor der Wahl auch nicht erwartet. Dass das nicht so recht zusammenpasst, was da nun passen muss, sieht man dieser Tage sehr deutlich: David Cameron will gerne die ohnehin schon happigen Studiengebühren erhöhen. Genauer gesagt wird nur die Obergrenze erhöht, aber wenn die Unis erst mal bis zu 9000 Pfund pro Jahr von den Studenten nehmen dürfen (statt bisher 3300 oder so), werden sich auch genug Unis finden, die das tun. Wie schon jetzt die strikte Aufteilung der Schulen nach Wohnort (und damit oft nach Villenviertel vs. Armenviertel) kann man sich ausmalen, was das für die Zahl der ärmeren Studenten in Oxford oder Cambridge bedeuten wird.

Kontrovers wird die Sache nun dadurch, dass die Lib-Dems im Wahlkampf offenbar sehr deutlich gesagt haben, dass sie nicht für eine Erhöhung der Studiengebühren stimmen werden. Fast-Forward einige Monate, nun sind sie in der Regierung, haben das im Koalitionsvertrag wohl nicht ordentlich geregelt und müssen das Gesetz nun mittragen. Dass es viele Leute nicht witzig finden, wenn ein so explizit gegebenes Wahlversprechen ohne eine Änderung der Sachlage so exponiert gebrochen wird, kann ich wirklich nachvollziehen. Entsprechend gab es gestern bei BBC News auch den ganzen Tag lang nur ein einziges Thema, nämlich die Proteste in London. Auf der mittlerweile vierten Demo zu dem Thema ging es am Tag der Abstimmung im Parlament ziemlich ruppig zu, und beide Seiten haben denke ich übertrieben (mit einer Pferdestaffel in eine Menschenmenge zu reiten ist genauso irrsinnig wie Pferden und Polizisten Feuerwerkskörper an den Kopf zu werfen).

Und damit zum eigentlichen Thema dieses Beitrags: Es gibt tatsächlich noch Politiker, die ihren Job nicht nur des Spaßes und des Geldes wegen machen oder weil man so viele schöne Dinge vom Steuerzahler bezahlt bekommt, sondern die sich unabhängig von Partei-Raison die Sachfragen anschauen. Unsere MP Jenny Willot gehört dazu! Neben bizarrerweise einem schottischen Conservative traten zwei Lib-Dems von ihren Regierungsposten zurück, um in der Abstimmung frei entscheiden und gegen den Gesetzentwurf stimmen zu können (ich habe es nicht genau verfolgt, aber für alle Regierungsmitglieder war es wohl verpflichtend, dafür zu stimmen – würde ja sonst auch komisch aussehen, wenn die Regierung ihre eigene Politik nicht unterstützt). Alle drei hatten nur Junior-/Beraterposten in der Regierung, waren also nicht Minister oder so, aber so ein Rücktritt ist für einen Politiker sicher trotzdem kein kleiner Schritt.

Am Ende hat es nicht gereicht, das Gesetz wurde mit knapper Mehrheit angenommen, und auf die britische Bildung kommen nun interessante Zeiten zu. Ich finde es aber zumindest super, dass Jenny Willot diesen Schritt getan und damit ihre Ernsthaftigkeit als Abgeordnete demonstriert hat. Zugegebenermaßen hat es die Entscheidung sicher leichter gemacht, dass sie eine Universitätsstadt vertritt und die Lib-Dems wirklich schauen müssen, wie sie sich wiederwählbar machen nach der Koalition. 😉 Aber ich möchte lieber glauben, dass das nicht Wahlkampf-Kalkül sondern wirklich eine Gewissensentscheidung war. Es kommt selten genug vor, dass man mal stolz sein kann auf seine Abgeordneten.

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So, noch mal kurz drüber schauen und dann nichts wie ab damit. Vielen Dank fürs Kommentieren! :-)