Vorletzten Sonntag lief auf der BBC eine neue Serie an, die zumindest teilweise in Cardiff gedreht wurde: „Sherlock“. Nun könnte man sich fragen, was es an Sherlock Holmes noch Neues zu entdecken gibt, zumal vor kurzem erst die unterhaltsame und doch sehr klassische Blockbuster-Version mit Robert Downey Jr. und Jude Law im Kino war. Aber die BBC-Serie geht da ganz eigene Wege: Die Story wurde kurzerhand in die Gegenwart verlegt.
Sherlock Holmes lebt in London (wo sonst) und betätigt sich als Consulting Detective für die Polizei („I‘m the only one in the world. I invented the title.“). Wenn Detective Lestrade mal wieder ratlos ist, bringt er widerwillig Holmes zu einem Fall dazu und vertraut darauf, dass dessen geniale Fähigkeiten ihn zum Mörder führen werden. Holmes ist ein Genie, was Wahrnehmungsgabe und logisches Denken betrifft. Kleinste Details ergeben in seinem Kopf sofort ein sinnvolles Ganzes. Dafür mangelt es ihm deutlich an sozialen Fähigkeiten, und fast alle in Lestrades Team sind überzeugt, dass er ein Psychopath ist, der eher früher als später selber zum Mörder werden wird.
Holmes wäre nicht komplett ohne Doctor Watson. John Watson ist ein Armeedoktor, der in Afghanistan gedient hat und unter posttraumatischem Stress leidet. Er sucht eine Wohnung in London, hat jedoch nicht das Geld für die überteuerten Mietpreise. Ein alter Freund bringt ihn mit Sherlock Holmes zusammen, der ebenfalls auf Wohnungssuche ist und Watson kurzerhand als Mitbewohner akzeptiert. Ohne Watsons Zustimmung abzuwarten mietet Holmes sie beide in 221B Baker Street ein…
Damit wäre das Setting quasi komplett. Alle klassischen Elemente, die man gemeinhin mit Sherlock Holmes verbindet, sind entweder da oder werden mit einem Augenzwinkern kommentiert. So raucht Sherlock etwa nicht, weil das in London kein großer Spaß ist (es ist ja in so ziemlich jedem Gebäude verboten – herrlich!), klebt sich dafür aber bis zu drei Nikotinpflaster auf den Arm. Auch sehr witzig: Watson wird beim Abendessen für Holmes‘ Date gehalten und Mrs. Hudson bietet das zweite Schlafzimmer an, falls das nötig sei (Watson: „Of course we‘ll be needing a second bedroom.“). Wobei man sagen muss, dass Professional-WGs hierzulande wesentlich üblicher sind als in Deutschland. Gerade im hochpreisigen London wohnen bestimmt jede Menge erwachsene Berufstätige in WGs mit Fremden zusammen, einfach aus Kostengründen.
Der erste Fall drehte sich um eine verdächtige Reihe von Selbstmorden. Ein „Serien-Selbstmörder“ sollte ja eigentlich unmöglich sein, andererseits hängen die Fälle offensichtlich zusammen. Lestrade gehen die Ideen aus, also bringt er Sherlock Holmes an den Tatort, der den frisch eingezogenen Watson mitschleppt, da Mrs. Hudson seinen Totenschädel konfisziert hat und es sich in der Öffentlichkeit eh nicht so gut macht, mit einem Totenschädel zu reden. 😉 Während Holmes ganz begeistert von dem kniffligen Fall ist, wird Watson langsam in dessen Welt gezogen und stellt bald fest, dass Holmes mehr Feinde als Freunde hat.
Alles in allem muss ich sagen bin ich sehr erstaunt, wie gut die Serie als moderne Neuerzählung funktioniert. Das zeigt vermutlich, was für eine klassische Story es ist, denn sie überlebt die Verpflanzung ins 21. Jahrhundert unbeschadet. Wo Holmes in früheren Zeiten ein meist etwas älterer Gelehrter war, ist er bei der BBC nun um die 30 und fit in moderner Technologie. Manchmal wirkt der Darsteller Benedict Cumberbatch etwas zu jung für die Rolle, aber er spielt den genialen Soziopathen einfach mit so viel Hingabe, dass das selten auffällt. Und auch das Zusammenspiel mit Martin Freeman (u.a. bekannt als Arthur Dent aus dem Hitchhiker-Film) als Dr. Watson funktioniert bestens. In aller erster Linie macht die Serie einfach Spaß!
„Sherlock“ ist eine BBC-Produktion auf gewohnt hohem Niveau was Schauspieler, Technik und Drehbücher betrifft. Wenn man weiß, dass die Serie von zwei „Doctor Who“-Autoren erdacht wurde, verwundert das nicht speziell. Die Idee soll Mark Gatiss und Steven Moffat (mittlerweile Produzent von „Doctor Who“) auf einer Zugfahrt zum DW-Dreh in Cardiff gekommen sein. Und auch sonst finden sich in den Credits so einige Namen aus dem Who-Universum. Genau wie „Doctor Who“ und dessen Spin-Offs entstand „Sherlock“ zudem in South Wales. Eine Reihe an Außenszenen sind jeweils tatsächlich in London erstanden (wäre auch Quatsch die Baker Street irgendwo anders nachzubauen), der Rest wurde wohl an verschiedenen Orten in Süd-Wales gedreht. Speziell Cardiff zuordnen konnten wir vor allem das Ende der ersten Episode, welches im Innenhof der Uni gedreht wurde, sowie viele Museumsszenen der zweiten Episode (die Gänge und die Eingangshalle waren das National Museum, der kleinere Bibliotheksraum wurde dagegen in Swansea gedreht, glaube ich).
Zwei von drei 90-minütigen Episoden sind mittlerweile gelaufen und ich hoffe mal, dass die Quoten gut genug für weitere Episoden sind! Die erste Episode kriegt etwas Abzug für das Ende (Selbstjustiz ist ein Thema, das man nicht verharmlosen sollte, auch nicht als allwissender Consultant Detective), aber die zweite war wieder einfach unterhaltsam. Ich bin gespannt, ob die vielen Moriarty-Andeutungen für später sind oder nächste Woche eine Rolle spielen. 🙂
Wer sich die Serie im Original anschauen will: Die DVD mit den ersten drei Episoden soll Ende August erscheinen.
Oja, eine hervorragene Transportierung ist hier gelungen. Kennst du die Bücher? Im ersten Buch, auf dem diese Folge ganz lose basiert, ist Sherlock in den Zwanzigern und somit ist Cumberbatch genau im richtigen Alter. Sehr schön fand ich in dem Zusammenhang die Rache(l)-Auflösung, denn es wird von der Polizei jeweils genau die falsche Erklärung angenommen (Rachel im Buch, Rache in der Serie).
Ich fand die zweite Folge vor allem von der Regie etwas langweiliger, das war letzte Woche schon fast künstlerisch zu nennen. Bin mal gespannt, ob Mycroft nächsten Sonntag wieder auftaucht.
Nein, die Bücher kenne ich nicht. Naja, bis auf „Hound of Baskerville“, das war aus irgendeinem Grund das erste Buch, das ich auf Englisch gelesen habe. Ist aber ewig her. Sherlock Holmes hat ja über die Jahrzehnte etwas ein Eigenleben entwickelt und ist durch ungezählte Filme zu einem stereotypen Charakter geworden. Durchaus möglich also dass die Serie da wieder näher am Original ist. Was die Charakterisierung betrifft ist sie auch gar nicht so weit weg vom letzten Film, finde ich.
Die zweite Episode hat mir eigentlich fast besser gefallen, zumindest was den Fall betrifft. Die erste Episode musste ja erst mal alles vorstellen und hat dafür beim zu lösenden Fall etwas geschwächelt, fand ich. Ich bin jetzt auf jeden Fall auf die dritte Folge gespannt. Falls Moriarty vorkommt, wäre meine Wunschbesetzung Judy Dench (spontaner Einfall als wir den Messenger-Nickname „M_“ am Ende der Episode sahen…). 😉
Haha, Judi Dench wäre natürlich klasse. Alleine schon weil Mark Gatiss die dritte Episode schreibt und er sich ja mit historischen Stoffen sehr gut auskennt, dürfen wir da beste Qualität erwarten.
Die DVD habe ich schon mal in den virtuellen Einkaufskorb gepackt. Die Preise sind ja echt erschwinglich, wenn man bedenkt, dass da 3×90 Min und Extras drauf sind. Wenn ich da an die deutschen Tatort- oder Wallander-DVDs denke, wird mir schlecht.
Hi Julia!
Welche Bücher meinst Du? Die Originale von Sir Arthur Conan Doyle? Da ist die „Rache(l)“-Geschichte genauso aufgelöst, nämlich als „Rache“.
Mmmh, die Serie hört sich interessant an. Basieren die Geschichten denn auf den Original-Romanen bzw. den 56 Kurzgeschichten? Und: Was ist mit Kokain? 😉
Bin etwas neugierig, da ich ein großer Sherlock Holmes Fan bin, wenn es auch etwas länger her ist, daß ich Romane und Kurzgeschichten gelesen habe. Fasziniert mich immer noch.
LG,
Kaineus.
Hallo Kaineus!
Wenn ich Julia da richtig verstanden hatte, nahm die Polizei im Roman wohl an, es wäre „Rachel“ gemeint. In der Serie ist es genau andersherum, auf „Rachel“ kommt Holmes erst später.
Inwieweit die Serie auf den Romanen basiert, weiß ich nicht. Ich kann mir aber schon vorstellen, dass zumindest verschiedene Handlungsstränge als Vorlage dienten, wenn auch hier und da modernisiert und vielleicht in andere Richtungen weiterentwickelt. Da die Serie einfach unterhaltsam ist, denke ich schon, dass sie Dir gefallen könnte. Habe ich ja ggf. gleich ein Geburtstagsgeschenk. 😉 Gefiel Dir denn der Kinofilm letztens? Stilistisch finde ich die vergleichbar.
Grüße,
JR
Ja, Johannes hat es erkannt: die Annahme war genau umgekehrt und das fand ich so toll. Wer den Roman kennt, hat die Szene erkannt (auch das mit dem Ring und dem Regen), bekam aber trotzdem etwas Neues geboten (Frau statt Mann, Rachel statt Rache).
Kokain wird wohl nicht vorkommen, aber die Nikotinpflaster-Szene spielte darauf an. Am besten du schaust dir das selber mal an, Kaineus.
Die zweite Folge basierte lose auf The Dancing Men laut Steven Moffat http://twitter.com/steven_moffat/status/20070229167
Die Geschichte habe ich noch nicht gelesen, denn ärgerlicherweise finde ich mein Buch gerade nicht.
Hallo!
Ah, das hatte ich jetzt falsch verstanden. Okay. Danke!
Bin gespannt. Normalerweise bin ich bei Sherlock Holmes immer recht vorsichtig, was Verfilmungen betrifft. Viele sind m.E. einfach Schrott, nur ganz wenige wirklich toll. Aber in die Serie werde ich bestimmt mal reinschauen. 🙂
LG,
Kaineus.
nikotinpflaster als „ersatz“ für kokain? ich sollte mir gedanken über meine zigarettensucht machen 😉
So, heute lief die dritte Folge, und ich bin wieder begeistert. Gut, keine Judy Dench, aber damit hatte ich nicht wirklich gerechnet. 😉 Aber eine spannende Geschichte, ein toller Moriarty (so viel verrate ich mal) und ein interessantes Ende. Die BBC muss davon einfach noch weitere Folgen drehen!
Hm, Google… Sieht gut aus soweit! Laut Guardian hatte die erste Folge über 7 Millionen Zuschauer, was wohl ziemlich gut ist (28,5% der Zuschauer an dem Abend). Folge 2 hatte nur 6.44 Millionen Zuschauer, war aber immer noch die meistgesehene Show am Sonntag Abend. Und irgendwie glaube ich doch, dass die dritte Folge das noch etwas toppen kann. Also ich kann wirklich nur hoffen, dass es mit „Sherlock“ bald weitergeht.