Heute will ich mal ein städtebauliches Merkmal beschreiben, dass mir extrem typisch für Großbritannien und besonders für England erscheint: Terraced Houses. Das sind Reihenhäuser, im ursprünglichsten Sinne des Wortes. Reihen von Häusern, eins am anderen. Das sieht dann zum Beispiel so aus:
Das Bild habe ich letztes Jahr direkt um die Ecke aufgenommen. Was würde in Deutschland auf der Fläche stehen? Zehn Häuser, zwölf? Hier sind es 30 Hausnummern (2 bis 62, nur gerade Nummern, obwohl auf der gegenüberliegenden Seite die Royal Infirmary vermutlich nicht die anderen 30 Nummern belegt)!
Historisch stammen die Terraced Houses wohl aus der Zeit der Industrialisierung, was auch die Einfachheit der Häuser und die geringe Fläche erklärt. Jede durchschnittliche Wohnung in Deutschland ist genauso groß, die meisten Wohnungen sind vermutlich größer. Der Garten hinter dem Haus bei uns schlägt mit etwa 6 Quadratmetern zu Buche, die Innenfläche hatte ich mal auf 65 Quadratmeter geschätzt.
Terraced House ist natürlich nicht gleich Terraced House. Wir wohnen in einem der kleinsten Typen. Der Bürgersteig beginnt dabei direkt am Haus, der Garten ist wie erwähnt in Wäscheständer-Größe. Innen gibt es unten und oben je zwei Räume, in guten Häusern unten nur einen. Das ist deswegen besser, weil man sich dann wenigsten auf einer der beiden Etagen nicht so beengt vorkommt. Wenn die Trennwand unten noch drinnen ist, hat man zwei sehr kleine Räume, mit denen man nur bedingt etwas anfangen kann (Party mit sechs Gästen oder so wird dann schon schwierig).
Hinten am Haus klebt in der Regel ein Anbau, denn die Häuser stammen fast alle aus einer Zeit, als Innen-Toiletten noch nicht Standard waren. Heute beherbergt der Anbau Küche und Bad, manchmal obendrauf auch noch ein Zimmer. Gebaut sind die Anbauten relativ willkürlich, zumindest in unserer Ecke. Da hat man das Gefühl, das kam so nach und nach in Mode und jeder hat sich das Teil im DIY-Verfahren hingestellt. So wird es wohl auch gewesen sein. 😉
Der nächstgrößere Typ Terraced House ist eigentlich nicht viel größer, aber etwas breiter (zwei Fenster statt nur einem). Die nächste Stufe: Eine kleine Terrasse vor dem Haus, per Zaun oder Mäuerchen von der Straße abgetrennt. Dieser Typ ist relativ häufig. Und dann gibt es dieses Modell noch in größer, mit fünf und mehr Zimmern und teilweise drei statt zwei Stockwerken.
Letzterer Haustyp wird dann in der Regel an mehrere Personen vermietet, z.B. als Studenten-WG. Aber oft teilen sich hier auch ganz normale Arbeitnehmer ein Haus, wenn sie den Weg auf die „Property Ladder“ noch nicht geschafft haben. Das ist nämlich total merkwürdig in Großbritannien: Es gehört einfach irgendwie dazu, sein eigenes Haus zu haben. Nicht mit 35, wenn man mit der Familie ins Häuschen im Grünen zieht, sondern sofort, jeder, gerne auch schon mit 20. Bis vor kurzem war es wohl auch kein Problem, 100%-Kredite zu kriegen (die berüchtigten „Mortgages“), und es war quasi garantiert, dass man jedes Haus mit Profit wieder verkaufen konnte, wenn doch mal ein Umzug anstand. Diese spezielle Blase ist ja mittlerweile geplatzt.
Aber zurück zu den Häusern: Es ist nicht so, dass man aus einem Terraced House nichts machen könnte. Unsere Nachbarn haben hinter ihrem Haus z.B. einen sehr schönen kleinen Garten mit Apfelbaum und tausend anderen Sachen, wirklich sehr schön. Und man sieht auch hin und wieder sehr schöne Vorgärten. Das Problem ist nur, dass 99 von 100 Briten sich scheinbar kein bisschen um die Häuser kümmern, in denen sie wohnen. Die Besitzer offenbar auch nicht, denn man kriegt ja so ziemlich jedes Haus vermietet (viele, viele Häuser, wenig Wohnungen im Angebot wenn man was zum Mieten sucht), und wenn es in noch so miesem Zustand ist. Und so sind die oben erwähnten Terrassen vor den Häusern in der Regel betoniert und zur Ablage von Müll genutzt. Klingt bitter, ist hier aber echt die Realität.
Aber auch globaler betrachtet kann ich mich für die Terraced Houses nicht wirklich erwärmen: Hier in Cardiff sind ganze Stadtviertel soweit der Blick reicht damit zugepflastert, vielfach ohne einen Baum weit und breit. Das ist weder was zum Wohnen noch was fürs Auge, auch wenn es je nach Blickwinkel durchaus komisch wirkt, wie etwa das Millennium Stadium aus einem Meer aus Schornsteinen aufragt. Die Bevölkerungsdichte liegt, wenn ich mal den Zahlen der Wikipedia glauben darf, über der meines letzten Wohnortes Leipzig, relativ deutlich sogar. Das erstaunt auf den ersten Blick, da in Deutschland ja doch wesentlich mehr nach oben gebaut wird. Dafür ist zumindest in Leipzig generell alles weniger eng, vielleicht macht das ja den Unterschied aus. Andererseits passt es zum Lebensgefühl: Man hockt halt doch sehr aufeinander, wenn jeder nur vier Meter Haus hat und auf beiden Seiten nur eine Wand vom Nachbarn trennt. Eines Tages werde ich sicher der Versuchung nachgeben, laut „Gesundheit“ zu rufen, wenn die Nachbarn niesen. 😉
Alles in allem kann man es in einem Terraced House zu zweit schon aushalten. Teilen mit anderen Leuten würde ich es mir nicht wollen, und auch zu zweit ist es schon etwas eng, da ja auch noch zwei Fahrräder hier wohnen wollen (yep, die stehen der Bequemlichkeit halber meist im Wohnzimmer). Platz für Mülltonnen ist natürlich auch nicht, wenn der Bürgersteig vor dem Haus keinen Meter breit ist. Eine sechsstellige Geldsumme würde ich für ein solches Haus jedenfalls nicht hinlegen. Glaubt man einschlägigen TV-Programmen, sind aber gerade Terraced Houses die beste Geldanlage: Kaufen, notdürftig aufpolieren und dann an Professional-WGs vermieten.
Über die Wikipedia habe ich übrigens gerade noch eine Seite gefunden, die ein bisschen historischen Background und viele Fotos liefert: Terraced Houses in Leicester
Schöner Beitrag. Wusste garnicht das die Engländer auch solche Häuser haben. Ich kenne sie bisher nur aus Holland.
Für mich wäre das nichts 🙂