Eric Flint: 1632

Cover 1632Rezension zu „1632″ von Eric Flint, Baen Publishing New York, ca. 587 Seiten, Ersterscheinung: 2000 (USA)

Inhalt

Das Buch beginnt in Grantville, einer Kleinstadt in West Virginia, im Jahr 2000. Die halbe Stadt ist in der Highschool des Ortes versammelt um die Hochzeit von Rita Stearns und Tom Simpson zu feiern. Die Feierlichkeiten werden jedoch von einem hellen Blitz unterbrochen, den die Bewohner später „Ring of Fire“ nennen werden. Als die Verwirrung sich legt, stellt man fest, dass etwas sehr Merkwürdiges im Gange ist – Grantville befindet sich offenbar nicht mehr in West Virginia.

Einige Männer, unter ihnen Mike Stearns, finden kurz außerhalb der Stadt die Straße wie mit einem gigantischen Messer abgeschnitten vor. Sie werden von Söldnern angegriffen und geraten in ein Massaker an einer Bauernfamilie. Die antiken Musketen der Söldner sind jedoch den modernen Schusswaffen der Amerikaner nicht gewachsen. Und während man die Überlebenden sowie zwei Reisende vor einer weiteren Söldnertruppe rettet und nach Grantville bringt, kristallisiert sich langsam heraus, dass es die Stadt nicht nur an einen anderen Ort, sondern auch in eine andere Zeit verschlagen hat. Grantville liegt nun im Thüringen des Jahres 1631.

Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation ist 1631 schon seit 13 Jahren Schauplatz eines blutigen Krieges, den die Bewohner Grantvilles als 30jährigen Krieg kennen. Auf der katholischen Seite führt Feldherr Tilly ein Söldnerheer, welches gerade die Stadt Magdeburg dem Erdboden gleich gemacht hat. Die protestantische Seite wird durch König Gustav II. Adolf von Schweden vertreten. Inmitten des allgemeinen Chaos muss Grantville für sein Überleben sorgen, greift jedoch auch bald in die politischen und militärischen Auseinandersetzungen ein…

Bewertung

Ich muss es gleich zu Anfang sagen: Dieses Buch hat mir aus verschiedenen Gründen nicht gefallen. Es hat mir genauer gesagt aus verschiedenen Gründen sehr aktiv missfallen, und es ist das erste Buch, das ich nur zu Ende gelesen habe, weil ich mich schon darauf gefreut habe, eine Kritik zu schreiben, und für diese eine faire Grundlage haben wollte. Die leise Hoffnung, es könnte sich noch bessern, wurde leider enttäuscht.

Die Prämisse des Buches klingt interessant, es wurde mir von verschiedenen Seiten wärmstens empfohlen und mittlerweile gibt es mehrere Nachfolgeromane, die sich scheinbar durchaus einer Fangemeinde und entsprechender Verkaufszahlen erfreuen. Was ich also für ein Problem mit dem Buch habe? Ok, gehen wir es der Reihe nach durch.

Mein Hauptproblem mit dem Buch liegt bei der Message, die es mehr oder weniger unterschwellig transportiert. Die Bewohner Grantvilles kommen in dieser für sie neuen Welt an und beginnen sofort, Frieden, Freiheit und Demokratie mit Waffengewalt zu verbreiten. Fast jeder in dieser Stadt ist bewaffnet (bis dahin, dass ein Vietnam-Veteran ein geklautes Maschinengewehr ausgräbt), und alle ziehen sie fröhlich in den Kampf. Und wo gehobelt wird, fallen natürlich Späne, also kommt man um das ein oder andere Kriegsverbrechen nicht herum. Auch ein vorsätzlicher Mord stört die Bewohner Grantvilles nicht so sehr, so lange er von der eigenen Seite begangen wird.

Schon auf Seite 34 geht es los: Noch bevor die Charaktere wissen, wo sie sind, oder Zeit haben, sich an die gewaltsame Epoche anzupassen, werden dort zwei verletzte Söldner ohne Notwendigkeit erschossen. Zu diesem Zeitpunkt handeln Mike und die anderen noch nicht als Soldaten sondern als Deputys des verletzten Sheriffs, was diese Szene um so ärgerlicher macht. Aber auch in der ersten echten Schlacht, in welche die Bewohner Grantvilles eingreifen, geht es in dem Stil weiter: Da wird ein verletzter Söldner aus eher weniger nachvollziehbaren Gründen ermordet und einer der Hauptcharaktere sitzt daneben und deckt den Mord. Die Geschichte spricht sich rum, aber der Sheriff ist der einzige, der für zwei Minuten Gewissensbisse hat, die Sache einfach zu ignorieren. Und so geht es weiter, und auf Seite 371 wundert es einen wirklich nicht mehr, wenn auch mal jemand einfach erschossen wird, um eine Stadtbevölkerung einzuschüchtern. Wie es später im Buch so schön heißt: „Mercy be damned!“ Diese Einstellung vertreten fast alle Hauptcharaktere, und es ist eine Einstellung, die ich einfach nicht gutheißen kann.

Mein zweiter großer Kritikpunkt ist das Thema Realismus. Der Grundgedanke des Buches bietet ein sehr spannendes Szenario, aber der Autor macht leider nicht sehr viel daraus. Der „Clash of Cultures“, der sich hier vollziehen könnte, läuft sehr moderat ab und beschränkt sich größtenteils darauf, dass die Amerikaner mit ihrer überlegenen Feuerkraft beeindrucken. Dadurch wird die Geschichte leider zunehmend unrealistischer. Grantville hat einfach keine ernsthaften Probleme, sich an diese Zeit anzupassen. Ein Gebiet mit einem Durchmesser von gerade einmal zehn Kilometern wurde versetzt, aber praktischerweise findet sich dort alles, was man zum Leben braucht. Es geht nicht nach einer Woche das Benzin aus, nach zweien die Lebensmittel und nach drei Wochen die Munition. Das Kraftwerk wird schnell wieder angeworfen und dann geht das Leben weiter wie bisher. Natürlich erliegt kein einziger Bürger Grantvilles den Krankheiten aus einem vergangenen Jahrhundert und niemand verdächtigt die Amerikaner ernsthaft der Hexerei, alle nehmen die technischen Wunder ohne großes Zögern hin. Der totale Zusammenbruch der Wirtschaft wird einfach ausgeblendet, denn schließlich bildet sich durch Geschäfte mit den Thüringern binnen Monaten eine florierende Handelsmetropole… Sorry, so einfach kann ich mir das beim besten Willen nicht vorstellen. Sowohl was die Akzeptanz Grantvilles bei der lokalen Bevölkerung betrifft als auch das Anpassungsvermögen der Amerikaner an das siebzehnte Jahrhundert. Eine moderne Kleinstadt ist auf so vielfältige Weise vom Rest der Welt abhängig, dass man gar nicht weiß, wo man anfangen soll die Probleme aufzuzählen.

Dieser schleichende Unrealismus setzt sich leider bei den Charakteren fort. Eric Flint gelingen hier durchaus einige interessante Charaktere, aber sie alle tendieren sehr zur Schwarz-Weiß-Malerei. Die Charaktere werden fein säuberlich in Gut und Böse klassifiziert und an dieser Einteilung ändert sich auch nichts mehr. Meine Probleme mit der moralischen Einstellung der Charaktere hatte ich ja schon erwähnt. Darüber hinaus fällt es mir auch schwer zu glauben, dass sich all diese Menschen so problemlos an die Gewalt gewöhnen, mit der sie im Laufe des Buches konfrontiert werden. Waffennarren, erfahrene Jäger –- ok. Aber würden all diese Leute den gleichen Enthusiasmus beim Töten von Menschen an den Tag legen wie beim Erlegen eines Hirsches? Offensichtlich, denn da ziehen Lehrer genauso in den Kampf wie ein Arzt und verschiedene Jugendliche. Lediglich am Anfang des Buches gelingt es dem Autor halbwegs glaubwürdig, die Auswirkungen des ersten Schusswechsels auch aus psychologischer Sicht darzustellen. Das wird jedoch nach wenigen Seiten ad acta gelegt, wenn die Charaktere ihre Freude am Töten entdecken. Der Höhepunkt des Grotesken ist die Cheerleaderin Julie, die sich als begabte und gnadenlose Scharfschützin herausstellt.

Das alles läuft auf Folgendes hinaus: Entweder liegt Eric Flint mit seinem Bild der Amerikaner meilenweit daneben und die wirklichen Amerikaner sind ganz anders. Das wäre schlecht insofern als er uns Grantville im Nachwort als authentisch und typisch amerikanisch verkaufen möchte. Oder aber er trifft die Realität, und das wäre dann wirklich erschreckend. Ein Blick in die aktuellen Nachrichten könnte einen glauben lassen, dass letzteres zutrifft. So oder so lässt einen das mit Charakteren zurück, die durch ihre Handlungen relativ schnell unsympathisch werden bzw. von Anfang an unglaubhaft wirken.

Unglaubwürdigkeit ist schon mal kein schönes Etikett für ein Buch wie dieses. Aber auch aus formaler Sicht gibt es Kritikpunkte. Generell versteht es der Autor offensichtlich nicht, eine Spannungskurve aufzubauen. Spannung kann man natürlich auf verschiedene Weise erzeugen, z.B. durch Neugier auf etwas Unbekanntes, oft aber einfach, indem für die Charaktere des Buches etwas auf dem Spiel steht. Nun, die Neugier legt sich nach 50 Seiten, denn dann kommt nicht mehr viel Neues. Und während die ersten 50 Seiten mit dem ersten Ausflug in diese neue Welt noch wirklich spannend geschrieben sind, geht auch das danach leider verloren. Ungeachtet dessen, dass sich die Charaktere ständig große Sorgen machen, sorgen Handlung und Erzählweise dafür, dass sich der Leser gar keine Sorgen macht.

Zum einen schafft der Autor einfach keine Situationen, in denen wirklich etwas für Grantville auf dem Spiel steht. Feuerrate ist die Antwort der Amerikaner auf alle Probleme, und der Autor hat viel Spaß dabei, das in immer neuen Schlachtszenarien auszuwalzen. Zum anderen hat Eric Flint scheinbar simple Prinzipien des Spannungsaufbaus nicht verstanden. Ein wirklich merkwürdiges Beispiel bietet sich weiter hinten im Buch: Der schwangere Charakter A geht spazieren. Schnitt: Charakter B beschließt, etwas mit dem Motorrad durch die Gegend zu fahren (die Benzinrationierung wurde am Anfang erwähnt, aber das hindert kaum jemanden am Rumfahren und das Benzin geht trotzdem nicht aus) und der Autor betont, wie Charakter B einer Eingebung folgend seine Waffe mitnimmt. Schnitt: Ein Spähtrupp trifft Charakter A auf seinem Spaziergang und beschließt, die Frau anzugreifen. So, weiß jetzt irgendjemand nicht, wie das ausgeht?!

Bei all diesen Kritikpunkten fällt der merkwürdige Teil drei des in sieben Teile gegliederten Buches kaum noch ins Gewicht. Einzelne Szenen des Buches wurden auch vorher aus Sicht anderer Charaktere erzählt, aber in fast allen Szenen kommt wenigstens ein Bewohner Grantvilles vor. In diesen drei Kapiteln nun wird auf 30 Seiten sehr ausführlich die historische Schlacht von Breitenfels beschrieben, und man fragt sich einfach, was das in dieser Ausführlichkeit für eine Relevanz hat. Schließlich ist es hier eine rein historische Schilderung, völlig ohne Auswirkungen durch die Ankunft Grantvilles. Aber wie gesagt, im Licht der restlichen Kritikpunkte ist das wirklich zu vernachlässigen.

Fazit

Die ersten 100 Seiten des Romans sind durchaus spannend beschrieben, dann geht es leider mit Spannung und Realismus bergab. Aber schon von Anfang an fällt eine störende Trennung der Charaktere in eindimensional Gut und Böse auf sowie meiner Meinung nach unmoralische Einstellungen bei fast allen Hauptcharakteren. „Mercy be damned!“, dieses Zitat fasst für mich mein Problem mit diesem Buch sehr prägnant zusammen. Die formalen Kritikpunkte wiegen nicht so schwer, dass ich es tatsächlich als schlechtes Buch bezeichnen würde. Wirklich gut ist es aber auch nicht, und die Ansichten des Autors tun ihr übriges, dass ich es wirklich nicht weiterempfehlen kann.

Wer dieses Buch trotzdem lesen möchte: Es ist als Taschenbuch erschienen, auf der Website des Baen-Verlages jedoch auch kostenlos online zugänglich.

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So, noch mal kurz drüber schauen und dann nichts wie ab damit. Vielen Dank fürs Kommentieren! :-)