Guter Journalismus

Ich habe mich das ein oder andere Mal hier schon zu meiner Suche nach gutem Journalismus und meinen eher praktischen Problemen mit dem Konzept „Tageszeitung“ geäußert (hier zum Beispiel von 2012). Ich wollte auch schon länger mal etwas dazu schreiben, dass ich in dieser Hinsicht tatsächlich fündig geworden bin. Dass ich den britischen Guardian tatsächlich für eine herausragend gute Zeitung halte, hatte ich ja auch schon mal erwähnt. Man kann diese Zeitung auch in Deutschland abonnieren, auch wenn man sie dann ggf. einen Tag später bekommt (oder?!). Das ändert aber nichts daran, dass die Zeit für diese Papierberge fehlt. Vor ein paar Monaten stieß ich dann jedoch auf die Möglichkeit, ein „Guardian Supporter“ zu werden. Das kostet 49 Euro im Jahr, und dafür kriegt man die Webseite werbefrei serviert und kann sich auf verschiedene Weise zusammengestellte Nachrichtenübersichten auch per E-Mail schicken lassen.

Das klingt jetzt erst mal nach einem schlechten Deal, denn der Guardian hat keine Paywall. Man liest also als Supporter die gleichen Inhalte wie der Rest der Leser. Für mich persönlich ist das trotzdem perfekt: Ich unterstütze eine tolle Zeitung, ohne mich im Gegenzug mit Papierbergen zu belasten. Keine Werbung mehr angezeigt zu bekommen, ist ein kleiner, aber angenehmer Bonus. Man muss sich dafür nur ab und an neu einloggen. Die Mails mit den zusammengefassten Headlines finde ich ebenfalls erstaunlich praktisch: Wenn man nicht sowieso schon auf der Seite war, kriegt man so die wichtigsten Headlines der letzten 24 Stunden ins Postfach und kann dann relativ schnell nur die Texte öffnen, die einen interessieren.

Was macht den Guardian nun so besonders im Vergleich zu anderen Zeitungen? Zum einen die Besitzverhältnisse: Von 1936 bis 2008 gehörte der Guardian dem Scott Trust. Diese Stiftung wurde extra zu dem Zweck gegründet, die Zukunft der Zeitung zu sichern. Die Zielsetzung dabei war und ist guter Journalismus und nicht Gewinn für Aktionäre zu erwirtschaften. Der Scott Trust ist mittlerweile keine Charity mehr sondern eine Limited Company, aber an der Zielsetzung hat sich nicht direkt etwas geändert. Allerdings kämpft auch der Guardian im schrumpfenden Zeitungsmarkt um seine Umsätze.

Auch inhaltlich hebt sich der Guardian ab, finde ich. Unter anderem startet die Zeitung immer wieder längere Projekte, die ein Thema in die Tiefe gehend behandeln, anstatt einfach nur den größtmöglichen Klickzahlen hinterher zu laufen. Projekte wie „The Defenders“ oder „Beyond the blade“ sind von den weitverbreiteten Clickbait-Texten deutscher Nachrichtenportale soweit entfernt wie das nur geht. Beide Projekte zeichnen sich dadurch aus, dass die Guardian-Journalisten versuchen, die Menschen hinter abstrakten Zahlen sichtbar zu machen und ihre Geschichte zu erzählen. „The Defenders“ zählt alle Umweltaktivisten, welche aufgrund ihres Engagements im aktuellen Jahr getötet wurden. Die wenigsten dieser Menschen waren international bekannt. Die Artikel im Guardian geben ihnen ein Gesicht und einen Namen und erzählen ihre Geschichte, während die Mörder es am liebsten hätten, wenn über diese Fälle nicht gesprochen wird. Gleichzeitig geht es aber auch um nüchterne Zahlen. Auf der Guardian-Startseite prangt für das aktuelle Jahr ein Counter, der leider schon wieder die 50 erreicht hat. Um über ein Problem vernünftig diskutieren zu können, muss man nämlich erst mal die Ausmaße des Problems kennen. Dafür sorgt der Guardian mit dieser Aktion.

Ganz ähnlich war es für „Beyond the blade“, welches sich mit durch Messerangriffe gestorbenen Teenagern in UK beschäftigte. Ist „knife crime“ ein reines Problem schwarzer Jugendlicher und findet ausschließlich in London statt? So stellen es Politiker gern hin und schlagen dann als Lösung gerne härtere Strafen vor oder mehr Polizeikontrollen eben dieser schwarzen Jugendlichen. Aber welcher Politiker kann sagen, wie viele Teenager durch Messer in UK sterben? Die Zahlen existieren, und der Guardian hat sich die Mühe gemacht, sie zusammenzutragen und in Artikeln einzuordnen, auch abseits des aktuellen Tagesgeschehens. Auch hier wurde 2017 ein Jahr lang jedem Toten ein Gesicht und eine Geschichte gegeben. Nicht aus sensationslüsternen Motiven im Boulevard-Stil, sondern mit viel Respekt und immer auf der Suche nach Lösungen. Das ist aus meiner Sicht genau das, was guten Journalismus ausmacht!

Auch wenn sonst auf der Welt Journalisten wichtige Dinge aufdecken, ist der Guardian meist nicht weit. Von Edward Snowden bis zu den Panama Papers waren Guardian-Journalisten beteiligt. Insofern schreibt der Guardian über viele Dinge, die auch für mich relevant sind. Als britische Zeitung liegt ansonsten ein großer Fokus natürlich auf der britischen Innenpolitik. Das finde ich aber auch sehr spannend (wenn auch deprimierend), da ich ja mal in Wales gelebt habe und das ganze Brexit-Drama fasziniert und entsetzt zugleich verfolge. Richtig interessant wird es aber auch, zu beobachten, welche Meldungen aus Deutschland es in den Guardian schaffen. Vieles, was hier tagelang die Medien beherrscht, kommt dort völlig zu Recht nicht vor. Eine britische Nachrichtenquelle zu konsumieren schafft also etwas Distanz zu den ganzen Pseudoskandalen, die so oft das Tagesgeschehen bei uns beherrschen. Andere Dinge nimmt man bei der Tagesschau vielleicht gar nicht als so wichtig wahr, aber wenn sie plötzlich dem Guardian eine Schlagzeile wert sind, schaut man doch noch mal hin. Diese Außenperspektive auf die Heimat ist spannend und hilft bei der Einordnung von Nachrichten.

Und nicht zuletzt: Für den Guardian schreiben eine Menge wirklich schlauer Leute. Man liest immer wieder wirklich gute Kommentare, welche die Sache einfach auf den Punkt bringen. Nach einer Weile fällt auch auf, dass die besten Texte oft von den gleichen Leute stammen. Auch das macht mir den Guardian sympathisch.

Also, vielleicht macht das ja auch den einen oder anderen neugierig, beim Guardian mal vorbeizuschauen oder sich die App zu installieren.

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So, noch mal kurz drüber schauen und dann nichts wie ab damit. Vielen Dank fürs Kommentieren! :-)