Alternde Science-Fiction

Ich lese im Moment wieder „Perry Rhodan“, und zwar nicht die aktuelle Erstauflage sondern die Hefte ab Nr. 800. Diese wurden 1976 geschrieben, vor über 30 Jahren also. Ich lese die bearbeitete 5. Auflage, aber im Gegenteil zu den stärker überarbeiteten Silberbänden sind diese Hefte doch noch recht originalgetreu. Ich finde es dabei sehr spannend, zu beobachten, inwiefern die Geschichten veraltet wirken bzw. welche Dinge störend hervorragen. Dies fällt an einer Serie wie „Perry Rhodan“ umso mehr auf, als es sich um Science-Fiction handelt, die in unserer Zukunft spielt und sich damit an der Gegenwart messen muss. Krimi-Romane vergangener Zeiten haben dieses Problem einfach nicht.

Beispiel: Eine Raumstation ca. aus dem Jahr 3400. Eine mächtige Zentralpositronik steuert die Station. Die Positronik will einen Menschen loswerden und jagt ihn mit Kampfrobotern. Der Mensch bewegt sich durch die Station, öffnet dabei eine Tür und schaltet das Licht an. Wenige Seiten später schaltet die Positronik auf der ganzen Station das Licht aus.

Beim Lesen sprangen mich gleich zwei Sachen an: Zum einen werden konkrete technologische Ausprägungen beschrieben, wie sie zum Zeitpunkt der Entstehung des Romans gültig waren. Türen werden manuell geöffnet und können mit genug Wucht auch schon mal aus den Angeln gerissen werden, und das Licht wird per Schalter angeschaltet. So ziemlich jede einzelne Science-Fiction-Serie incl. der Original-Star-Trek-Serie sowie unsere eigene Gegenwart zeigen uns da ein anderes Bild: Türen auf einer Raumstation erwartet man instinktiv als Schiebetüren, Licht brennt entweder immer oder wird automatisch bei Betreten des Raumes angeschaltet.

Der zweite Punkt, der einen aus dem Lesefluss raushaut: Die Positronik hat behaupteterweise vollständige Kontrolle über die Station und kann ja später auch das Licht überall ausschalten. Da soll sie es nicht mitbekommen, wenn in einem der Räume sich eine Tür öffnet oder das Licht eingeschaltet wird? Früher waren das Öffnen einer Tür oder das Betätigen eines Schalters eben rein analoge Tätigkeiten, die vollständig von eventuellen Computern getrennt waren. Schon heute jedoch kann man das alles digital erfassen und auswerten, das ist längst keine Science-Fiction mehr. Für eine hochgerüstete Raumstation 1400 Jahre in der Zukunft muss man aber mindestens die heutigen Standards anlegen können, sonst wirkt es lächerlich.

Zitat aus PR 809 von Hans Kneifel (Beschreibung eines Sendevorgangs an einem Hyperfunkgerät):

Mit einem einzigen Tastendruck schaltete Pynther eine Bandaufnahme und den Sender ein. […] Der Positroniker schaltete die Automatik ein; das Band lief endlich an den Tonköpfen vorbei und wiederholte ununterbrochen den gesprochenen Text.

Man kann festhalten, dass es eigentlich immer ein Fehler ist, zu konkret zu werden. Kenndaten von Maschinen in heutigen Einheiten anzugeben ist z.B. ein unglaubliches Risiko, angesichts der aktuellen Explosion der technischen Möglichkeiten. Genauso das Nennen von konkreten technischen Umsetzungen. Auch in 1400 Jahren werden Daten noch irgendwie gespeichert – aber man braucht sicher keinen Tonkopf mehr, um sie abzuspielen. Man könnte natürlich zugunsten des Autors annehmen, dass das ein hypermodernes Bauteil ist, das mit den tatsächlichen Bändern der 1970ger Jahre nichts zu tun hat. Aber besser ist es allemal, sich dann eigene Begrifflichkeiten auszudenken, um den Leser nicht zu verwirren.

Spannend finde ich, wenn Autoren Paradigmenwechsel nicht vorhersehen, was ihre Texte plötzlich ungeahnt anachronistisch werden lässt. Die Türen mit Angeln hatte ich ja schon erwähnt – jede Apotheke ist heute moderner als was uns da beschrieben wird. Aktuell befinden wir uns ja offenbar im Übergang von Tastatur und Maus zu Sprachsteuerung und Touchscreen. Trotzdem geben Positronikexperten in den 800er-Heften von Perry Rhodan Befehle an die Computer fast immer per Tastatur ein (kaum habe ich das geschrieben, finde ich in Heft 809 jetzt natürlich ein Beispiel für Spracheingabe). Ausgaben erfolgen oft genug nicht als Hologramm oder auf einem Bildschirm, sondern als Folienausdruck. Das irritiert beim Lesen genauso wie der oft fehlende Grad der Vernetzung der Computer mit allem anderen. Auch witzig: Wenn Computer bei PR vernetzt sind, dann immer um eine zentrale Einheit herum, ohne die nichts läuft. Heute geht das natürlich anders, Computer können sich genauso auch ohne Zentrale in einem Peer-to-Peer-Netzwerk organisieren.

Noch ein Zitat aus PR 809 von Hans Kneifel (Ausstattung der Zentrale der Relaisstation):

Mit einem tiefen Summergeräusch begann der Schnelldrucker zu arbeiten. Eine breite, eng beschriebene Folienbahn faltete sich unterhalb des schmalen Ausgabeschlitzes heraus. […] Nach einigen Minuten hörte das Geräusch auf. Äslinnen riß das Blatt ab und begann zu lesen.

Was aber fast am schlimmsten auffällt und sicher auch am schwersten aus den Romanen zu tilgen ist beim Überarbeiten (etwa für die Silberbände) sind die gesellschaftlichen Veränderungen. Die Rolle der Frau war in den 70gern eben doch noch eine andere als heute, und das merkt man vielen Romanen auch an. Zum einen kommen Frauen wenig vor. Keiner der Zellaktivatorträger jener Ära ist weiblich, und auch sonst gibt es keine wiederkehrenden weiblichen Charaktere, die mir so auf Anhieb einfallen würden. In der Anfangszeit der Serie gab es sie immerhin, aber meiner Erinnerung nach auch nicht gerade als Haupt-Handlungsträgerinnen (Betty Toufry, Anne Sloane, Mory Rhodan-Abro…). Um Heft 800 herum herrscht da gähnende Leere. Wenn dann doch mal Frauen vorkommen in einzelnen Heften, dann eben oft in aus heutiger Sicht klischeebeladenen Rollen. Ich kann es z.B. einfach nicht ernstnehmen, wenn im Jahre 3200 (plusminus, ich schaue das genaue Handlungsjahr jetzt nicht nach) Besatzungsmitglieder eines Raumschiffes diskutieren, ob es denn ok ist, dass eine Frau das Kommando übernommen hat. So geschehen im letzten Jahr neu aufgelegten Taschenbuch „Geisterschiff Crest IV“ von Kurt Mahr, wo sich das durch einen guten Teil des Romans zog.

Trotz dieser Alterserscheinungen bleiben die alten Perry-Rhodan-Hefte lesbar, lesenswert und spannend. Interessant ist es aber allemal, sich die Diskrepanzen zur Gegenwart bewusst zu machen. Gleiches gilt natürlich auch für alle andere Science-Fiction.

Update 09.02.2013: Gerade habe ich noch ein schönes Beispiel gefunden. Aus PR-821 von Hans Kneifel (1977): „Er zählte die Mädchen, Frauen und Männer und registrierte, daß nur der Haluter fehlte.“ (S. 106 / 5. Auflage) Hier geht es um die Besatzung einer Korvette, die in einem zeitlich eng begrenzten Spezialeinsatz ist. Ich nehme nicht an, dass dabei Kinder an Bord waren. 😉

2 Gedanken zu „Alternde Science-Fiction

  1. Ich bin gerade bei den 18x Nummern der Erstauflage, die die Abenteuer mit Mary (noch nicht Rhodan)-Abro schildern, die aus den Silberbänden komplett rausgelassen wurden.
    Und Himmel! Ich winde mich so beim Lesen. Es ist furchtbar.
    Da bin ich dann doch froh, dass meistens gar keine Frauen vorkommen, das ist in dieser Hinsicht deutlich einfacher zu lesen.

  2. Man muss sich solche Beispiele immer wieder vergegenwärtigen, um sich zu erinnern, wie progressiv eine Rolle wie Lt. Uhura in der alten Star-Trek-Serie tatsächlich war. Auch wenn es aus heutiger Sicht oft nicht so wirkt.

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So, noch mal kurz drüber schauen und dann nichts wie ab damit. Vielen Dank fürs Kommentieren! :-)