Kazuo Ishiguro: Never Let Me Go

Cover 'Never Let me Go'Rezension zu „Never Let Me Go“ von Kazuo Ishiguro, 282 Seiten, Faber and Faber London, 2005

Deutsche Ausgabe: „Alles, was wir geben mussten“, btb

Bewertung

Eine klassische Inhaltsangabe muss ich mir diesmal sparen, das wird in die Bewertung mit einfließen müssen. Das liegt daran, dass „Never Let Me Go“ gemessen an dem, was ich sonst so lese, ein eher ungewöhnliches Buch ist. Der Autor beschreibt primär einen Charakter aus der Ich-Perspektive, Kathy, und über ihre Erinnerungen auch einige von Kathys Freunden und schließlich im weiteren Sinne die Welt, in der Kathy aufwächst. Mehr kann man von der Handlung eigentlich nicht verraten, ohne dem Buch einen guten Teil der Spannung zu nehmen, denke ich, und das macht das Rezensieren etwas schwierig.

Ohne also zur Handlung weiter etwas sagen zu wollen, muss ich noch mal betonen, dass sich das Buch einzig und allein um die Erinnerungen des Hauptcharakters dreht. Kathy, eine 31 jährige Pflegerin, erinnert sich an ihre Schulzeit, an ihre Freunde, ihre Lehrer, Konflikte und Abenteuer, Beziehungsdramen, Kunstunterricht und Flohmärkte. Es gibt sonst nichts in dem Buch, keine Rahmenhandlung, keine Action. Der Plot wird einzig in Form dieser Erinnerungen erzählt. Wer das abschreckend findet, ist bei „Never Let Me Go“ vermutlich falsch.

Und ich muss sagen, normalerweise würde ich das abschreckend finden, allerdings wird Ishiguros Buch von seinem guten Schreibstil gerettet. Es ist tatsächlich flüssig und relativ spannend geschrieben, und vor allem sind die Charaktere glaubwürdig geschildert. Man kann sich in Kathy, Ruth und Tommy hineinversetzen und will nach einer Weile einfach wissen, wie die Geschichte ausgeht. Vom Aufbau der Geschichte her erinnert mich das Buch etwas an „The Snow“, auch dort wird die Handlung als Erinnerung des Hauptcharakters geschildert, und zwar eines Charakters, der die eigentliche Story mehr oder weniger verpasst und erst nach und nach entdeckt. Das kann seinen Reiz haben, aber Ishiguro setzt es wesentlich besser um als Roberts. Nur hier und da wirken die Überleitungen von einer Erinnerung zur nächsten etwas arg gekünstelt.

Während man das Buch liest, kann man sich durchaus von den Charakteren und dem Schreibstil gefangen nehmen lassen und in die Geschichte abtauchen. Aber je weiter ich mich dem Ende näherte, desto mehr wuchs mein Unbehagen mit der grundlegenden Story. Man kann das Buch, wie es ist, sicher akzeptieren und so stehen lassen. Allerdings finde ich hat Ishiguro seine so überaus detaillierte Charakterstudie leider auf eine unglaubwürdige Prämisse aufgebaut, und das macht es mir etwas schwer, das Buch wirklich gut zu finden. Wie gesagt, die Charakterisierungen sind (mit Abstrichen) glaubwürdig gelungen. Aber die Welt, die der Autor schildert, nehme ich ihm so nicht ab. Entweder hätte er die Unterschiede zu unserer Welt nicht nur einfach behaupten sondern etwas glaubwürdiger begründen müssen. Oder aber die Welt, in der Kathy aufwächst, hätte von unserer so offensichtlich verschieden sein müssen, dass sich eine Erklärung erübrigt. Und nicht zuletzt gibt es ein paar Fragen, von denen ich Ishiguro einfach nicht abnehme, dass sie seine Charaktere sich nie gestellt haben. Da wir auch sonst jedes Detail ihrer Kindheit und ihres Werdegangs erfahren, kann er einige der wichtigsten Fragen nicht einfach unkommentiert weglassen, finde ich.

Das ist also das Dilemma des Buches: Es soll sicherlich zum Nachdenken anregen und bietet dazu spannende Ansätze. Tut man das aber, kommt man schnell auf die logischen Brüche und fehlenden Teile der Geschichte. Irgendwie ist es am Ende ein „was wäre wenn“, bei dem es dem Leser viel zu einfach fällt zu sagen „geht aber nicht weil“. Ich hatte im übrigen beim Lesen auch immer wieder den Eindruck, dass die Geschichte vielleicht als sechzig- bis hundertseitige Novelle besser funktioniert hätte denn als 280-Seiten-Roman. Manchmal ist weniger halt doch mehr, und je kompakter die Geschichte ist, desto weniger erwarte ich vom Autor, ein glaubwürdiges Gesamtbild aufzubauen.

Fazit

Alles in allem also ein gemischter Eindruck, obwohl ich sagen muss, dass ich das Buch trotzdem nicht schlecht finde. Es ist wirklich gut geschrieben, wenn man sich mit dem Erzählstil anfreunden kann, und als Charakterstudie ist es gelungen. Man tut vermutlich gut daran, einfach mal reinzulesen bevor man es kauft. Ihr könnt in der Buchhandlung eine beliebige Seite lesen und sicher sein, dass sie repräsentativ für die anderen 281 Seiten ist. 😉

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So, noch mal kurz drüber schauen und dann nichts wie ab damit. Vielen Dank fürs Kommentieren! :-)