Das Ende eines Traumes

„Alarmstufe Rot!“ – „Volle Energie auf die Schilde!“ – „Phaser aktivieren!“

Mehrere Treffer schüttelten das Schiff durch. Etwas explodierte auf der Brücke und Metallsplitter wirbelten durch die Gegend.

***

Stille. Und Trauer. Warum hatte es so kommen müssen? Sie war vierzehn und saß unter einem großen Baum in einem Garten. Im Hintergrund war ein erleuchtetes Haus auf einem Hügel zu sehen, doch um das Mädchen herum herrschte Dunkelheit. Und auch in ihrem Innern herrschte Dunkelheit. Vor einer Woche hatte man die ersten Nachrichten gehört. „Romulaner belagern Tomed-System! USS Chrachas und USS Machiavelli zerstört!“

Alle hatten es befürchtet, doch niemand wollte es glauben. Sie erinnerte sich noch gut an ihn, obwohl er lange nicht mehr bei ihnen gewesen war. Besonders erinnerte sie sich an einen Abend, vor sechs Jahren.

Sie hatte sich mit ihrer Mutter gestritten, die ihr keinen zweiten Nachtisch replizieren wollte. Sie war einfach hinausgelaufen in die Dunkelheit und hatte sich am Ende des Gartens unter genau diesen Baum gesetzt.

Irgendwann hatte sie Schritte gehört. Eine leise Stimme. „Rachel?“ Sie erkannte ihn, doch sie antwortete nicht, sie war schließlich beleidigt. Er setzte sich neben sie, und nach einer Weile sagte er: „Komm doch wieder mit rein! Du willst doch nicht meinen letzten Abend verpassen?“ Sie rang mit sich selbst, doch schließlich entschied sie, dass sie auf ihre Mutter sauer war und nicht auf ihn. „Musst du denn wieder weg?“ fragte sie leise und sah ihn an.

„Ja. Mein Schiff fliegt morgen los. Und ich muss an Bord sein.“

„Aber warum denn? Schaffen die das denn nicht ohne dich?“ Der kindliche Trotz einer Achtjährigen. Er lächelte darüber und meinte: „Ich will ja mit. Ich will dort oben sein.“

„Aber warum? Warum willst du denn nicht bei uns bleiben?“ Darauf erwiderte er nichts, er sah einfach zum Himmel hoch, an dem tausende von Sternen funkelten. „Siehst du die Sterne?“ fragte er schließlich. „Ja“, meinte sie mit einem kurzen Blick auf das Gefunkel. „Nein. Sieh richtig hin! Saug ihr Bild in dich auf!“

Rachel folgte seinem Rat und er fuhr fort: „Wenn du lange genug die Sterne betrachtest, weißt du, warum ich dorthin will. Jedes einzelne Licht, das du dort siehst, hat eine unheimlich lange Reise hinter sich. Die meisten dieser Lichter waren länger unterwegs als es uns Menschen überhaupt gibt. Und ich habe nun die Chance, zwischen ihnen zu reisen und all die Wunder zu erleben, die sie für uns bereithalten. Das ist es wert, für eine Weile von seiner Familie getrennt zu sein.“

Er sah sie an und lachte. „Eines Tages wirst du es verstehen, Rachel. Vielleicht folgst du mir sogar zu den Sternen!“ Und wieder lachte er und zeigte mit ausgestrecktem Arm auf den Himmel. „Ich warte dort auf dich, Schwesterchen.“

„Ich warte dort auf dich, Schwesterchen.“ Diese Worte kamen ihr wieder in den Sinn, als sie jetzt zu den Sternen hoch sah. Doch diesmal war sie allein, niemand war bei ihr und erklärte ihr die Wunder des Universums.

Und niemand wartete mehr dort oben auf sie.

Vor drei Tagen waren die Befürchtungen zur Gewissheit geworden. Ein Offizier war zu ihnen gekommen, er hatte mit ihren Eltern gesprochen und ihnen etwas überreicht. Eine goldgelbe, sternförmige Medaille. Rachel hielt sie in der Hand, auf ihrer Rückseite konnte sie im Licht der Sterne gerade noch die Inschrift erkennen. „Er starb in Erfüllung seiner Pflicht.“ Nur durch den darunterstehenden Namen unterschied sich die Medaille von hunderten anderen, die in diesen Tagen wahrscheinlich überbracht worden waren. Sonst blieb nichts von ihm, keine Leiche, keine persönlichen Sachen, keine letzte Nachricht. „Sie müssen das verstehen“, hatte der Offizier gesagt. „Die Machiavelli wurde durch einen Kernbruch zerstört. Es blieb nichts übrig, was man hätte bergen können.“

Sie konnte nicht mehr weinen, all ihre Tränen hatte sie in den letzten Tagen schon vergossen. Und so saß sie einfach da und sah zu den Sternen hinauf.

Sie wollte diese Sterne verfluchen, weil sie ihr ihren Bruder genommen hatten. Dieses unendliche Gefunkel dort oben hatte ihn von der sicheren Erde weggelockt. Und doch konnte sie die Sterne nicht als etwa Böses ansehen. So sehr sie sich auch bemühte, sie konnte die Faszination der Sterne nicht abschütteln. Seit jenem Abend vor sechs Jahren hatten die Sterne sie fasziniert, sie hatte abends zu ihnen aufgeblickt und versucht, das Licht zu finden, an dem er jetzt gerade vorbeiflog.

Sie dachte an seine Worte. „Jedes einzelne Licht, das du dort siehst, hat eine unheimlich lange Reise hinter sich.“ Das Licht, das jetzt zur Erde kam, wusste noch nichts von dem, was passiert war. Es hatte seine Reise vor vielen Jahrtausenden angetreten, und sie konnte es für das Geschehene nicht verdammen. Aber eines Tages würde das Licht aus dem fernen Tomed-System, das Licht, das die Katastrophe beleuchtet hatte, das vielleicht sogar etwas von der Energie des Kernbruches mitgenommen hatte, auch die Erde erreichen, und vielleicht war es besser, wenn sie dann nicht mehr hier war.

„Eines Tages wirst du es verstehen, Rachel.“ Ja, sie verstand ihn jetzt. Sie blickte zum Himmel hinauf und fühlte den selben magischen Sog, dem auch er erlegen war. Sollte sie ihm folgen, obwohl er dort den Tod gefunden hatte? Oder sollte sie ihm gerade deswegen folgen, um seinen Traum fortzuführen?

Sie hörte wieder sein Lachen, sah seinen ausgestreckten Arm, der auf die Sterne deutete. „Ich warte dort auf dich, Schwesterchen.“

Langsam hob sie das PADD, das sie in ihrer rechten Hand hielt. „Anmeldung für die Akademie der Sternenflotte“ stand darauf. Rachel legte die Medaille neben sich auf den Boden und nahm den elektronischen Stift, der an dem PADD baumelte. Sie würde noch warten müssen, bis sie mit der Schule fertig war, aber sie konnte das Formular ja schon ausfüllen. Sie legte das PADD auf ihre Knie und trug in die erste Zeile des beleuchteten Displays ihren Namen ein – Rachel Garrett.

***

Der Druck der Explosion warf sie aus ihrem Sessel. Das Bild der Brücke wirbelte an ihrem Auge vorbei. Rauch, die Besatzung an ihren Stationen. Als ihr Körper aufprallte und über den Boden rollte, war Rachel Garrett schon tot. Ihre starren Augen konnten den langen Metallsplitter in ihrer Stirn nicht mehr sehen, sie waren auf die Sterne auf dem Bildschirm gerichtet.

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So, noch mal kurz drüber schauen und dann nichts wie ab damit. Vielen Dank fürs Kommentieren! :-)