Manchester Orchestra: The Alien

Ab und an, ganz selten, stolpere ich über einen Song, der mich hauptsächlich aufgrund des Videos fesselt. Vor Jahren war das z.B. Norah Jones` „Sunrise“, mit dem sympathischen Video voller Pappkulissen, in dem Norah Jones die Pappsonne aus einem Pappteich angelt. Ja, damals, als es noch Musik-Fernsehen gab. Dieser Tage bin ich bei YouTube über ein Video gestolpert, das mich immer wieder inne halten lässt, und zwar „The Alien“ von Manchester Orchestra.

Manchester Orchestra kommt ungeachtet des Namens weder aus Manchester noch überhaupt aus UK, sondern ist eine Band aus Atlanta. Alle ihre Songs treffen sehr gut meinen Musikgeschmack. Ich bin gar nicht sicher, wie man das einsortiert. „Alternative“? Wikipedia sagt „Indie-Rock“, aber so richtig rockig finde ich es gar nicht. Es ist auf jeden Fall nicht die Art hirnlose Pop-Musik, die im Radio rauf und runter läuft.

Anyway, „The Alien“. Der Song ist großartig, genau wie das Video. Die Kombination ist doppelt spannend, weil beides aus meiner Sicht zwei verschiedene Stories erzählt. Aber schaut doch einfach mal selbst:

Das Lied klingt auf den ersten Blick eingängig,ruhig und vielleicht etwas melancholisch. Aber wenn man sich den Text näher anschaut, ist das eines der traurigsten Lieder, die ich kenne. Und Nein, es geht nicht um Außerirdische. Ich würde den Text so interpretieren: Es geht um einen Außenseiter (oder Außenseiterin, da legt sich das Lied nicht fest). Jemand, den die anderen Highschool-Kinder als Alien verspottet haben. Jemand, der abstehende Ohren hat und ein Trauma, das auch auf die Kombination eines betrunkenen Vaters und einer Schere zurückgeht. Eines Tages steigt die Person den Pleasant Hill hinauf. Die Sonne steht tief, die Autofahrer können ihn nicht wirklich sehen. Und er tritt auf die Straße, um die „Familiendämonen“ auszulöschen. Wenn Gott nicht mit ihm spricht, wird er ihn zwingen, etwas zu tun, sagt der Text. Aber statt sich selbst umzubringen, wird ein schlimmer Unfall ausgelöst. Die Person überlebt, aber andere haben dieses Glück nicht. Das Lied reflektiert all diese Ereignisse von einem späteren Zeitpunkt aus gesehen. „Did you mean to take all these people with you?“ wird gefragt. Und es enthält immer wieder die Zwiesprache mit Gott. „Do you need me?“ scheint die Person zu fragen. Aber wie nicht anders zu erwarten antwortet Gott nicht, und der Person bleibt am Ende nur zu beklagen „I didn’t mean to“.

Wow! Das ist wirklich keine Feelgood-Geschichte. Das Video dazu zieht mich genau wie der Text immer wieder in seinen Bann. Es zeigt verwirrenderweise aber nicht die Geschichte, über die gesungen wird. Stattdessen sehen wir eine Frau im Garten liegen. Das Video läuft nun rückwärts ab. Das ist ein sehr einfacher Effekt, aber doch sehr mächtig in seiner Wirkung. Die Frau wirbelt herum, fliegt durch ein zerbrochenes Fenster ins Haus, welches sich um sie herum wieder zusammensetzt, und rollt drinnen eine Treppe hinauf. Die Scherben einer Tasse finden wieder zusammen, eine heruntergefallene Sanduhr setzt sich wieder zusammen. Zwischendurch gibt es Flashbacks zu ihrer Kindheit, die als Projektion auf den Wänden des leeren Hauses laufen. Außerdem steht die Band im Haus und spielt den Song. Die Flashback-Szenen laufen richtig herum ab, die Band ist dagegen so ein Zwischending. Die Bandmitglieder selber bewegen sich richtig herum, aber im Hintergrund sieht man ggf. Dinge rückwärts laufen. Erinnert so gesehen auch an „Tenet“, auch wenn „The Alien“ von 2017 ist.

So endgültig werde ich aus dem Video nicht schlau, vor allem auch, was es mit der Geschichte zu tun hat, die der Song erzählt. Am Ende jedenfalls steht die junge Frau auf dem Dach und verstreut Asche aus einer Urne. Ganz am Ende geht sie rückwärts zum Auto, steigt ein und „fährt weg“. Die ganze Szene stellt wohl den Abschied vom Elternhaus nach dem Tod eines Elternteils dar, denke ich. Zum Song würde das dann eher emotional passen, was die Melancholie betrifft, nicht so sehr inhaltlich. Was zwischen den Szenen auf dem Dach und dem Herunterrollen der Treppe passiert, ist mir nicht ganz klar.

Aber wie gesagt, der Effekt ist mächtig, und dass ich einige Wochen später immer noch zu dieser Musik zurückkehre, kann man wohl als Erfolg werten. Die Kombination aus den Lyrics und dem Video hat einfach den Effekt, dass ich tatsächlich meine Arbeit unterbreche und zuschaue, wenn YouTube mir das Lied in die Playlist spielt. Es ist ein Gesamtkunstwerk, wenn auch ein trauriges.

Veröffentlicht unter Musik

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So, noch mal kurz drüber schauen und dann nichts wie ab damit. Vielen Dank fürs Kommentieren! :-)