Letztes Jahr habe ich den Perry-Rhodan-Weltcon besucht, wo u.a. die neue Serie „Perry Rhodan NEO“ vorgestellt und beworben wurde. Ich habe NEO dann tatsächlich ein halbes Jahr lang gelesen, das aber mittlerweile wieder aufgegeben. Zu den Gründen dafür und allgemein zu der Serie wollte ich hier mal kurz was aufschreiben.
Perry Rhodan und NEO
Wer „Perry Rhodan“ gar nicht kennt, für den ist dieser Artikel vermutlich nicht speziell interessant. Kurz gesagt: „Perry Rhodan“ ist eine 1961 gestartete SF-Serie, von der seitdem jede Woche ein ca. 60 Seiten starker Heftroman erscheint. Diese Woche kommt Heft 2679 in den Handel. Die Serie erzählt eine fortlaufende Geschichte um Perry Rhodan und seine Freunde. Rhodan ist der erste Mensch auf dem Mond (geschrieben 1961!), findet dort Außerirdische, vereint mit deren Technik die Menschheit, bekommt die Unsterblichkeit geschenkt und lenkt durch die Jahrtausende die Geschicke der ins All expandierenden Menschheit. Zu den 2679 Heftromanen der Hauptserie kommen noch 850 Heft der Atlan-Schwesterserie, ca. 420 Taschenbücher und viele weitere Publikationen.
„Perry Rhodan NEO“ ist ein Reboot, der parallel zur aktuellen Erstauflage läuft, welche natürlich ebenfalls weitergeführt wird. Der Gedanke dahinter ist ganz einfach: Was wäre, wenn die PR-Serie heute entstanden wäre? Wie würde man diese Geschichte dann erzählen? Die NEO-Serie löst damit gleich zwei Probleme: Zum einen ist das PR-Universum sehr komplex. Wer es sich heute ohne Vorkenntnisse anschaut, hat sicher Probleme, den Einstieg in die Erstauflage zu schaffen, ohne erst mal die halbe Perrypedia zu lesen. Zum anderen sind die ganz alten Geschichten aus dem Perryversum nicht immer gut gealtert. Wenn man die alten Hefte heute liest, merkt man einfach die technischen aber auch gesellschaftlichen Gegebenheiten ihrer Entstehungszeit. Da klicken die Register in den Komputern (sic!) und Frauen in Führungspositionen kommen quasi nicht vor. Zudem spielen die Anfänge der PR-Serie natürlich in unserer Vergangenheit, wurde die Mondlandung doch damals für 1971 angesetzt.
Insofern verstehe ich die Motivation des Verlages sehr gut. Man schafft sich mit NEO eine Serie, in die man als Neuleser ohne große Hemmschwellen einsteigen kann. Die Handlung ist mit bisher 32 Heften überschaubar, da kommt man schnell rein. Und die Serie spielt wieder in der Zukunft, genauer im Jahr 2036. Gleichzeitig kann man die sehr starken Geschichten der Anfangszeit der PR-Serie lebendig halten und neu vermarkten.
Das Ganze muss man auch etwas weiterdenken: NEO ist ideal, um damit Perry Rhodan in anderssprachige Märkte einzuführen. Es gibt ja in vielen Ländern der Welt Übersetzungen der Erstauflage. Jedes Land ist dabei auf einem anderen Stand, manche hinken der deutschen Serie 1000 Hefte hinterher, andere haben nur einzelne Zyklen übersetzt. Wollte man in einem neuen Land PR auf den Markt bringen, müsste man theoretisch mit 60 Jahre alten Geschichten beginnen, denen man ihr Alter anmerkt. NEO dagegen erlaubt es, z.B. in den USA eine frische, moderne PR-Serie zu publizieren, die dann tatsächlich auch Erfolgsaussichten hat. Im Zeitalter von eBooks kann man das ja mit vergleichsweise geringem Aufwand tun, verglichen mit früheren Zeiten, wo man einen lokalen Verlag als Partner brauchte, Vertriebsstrukturen etc. Heute reicht ein guter Übersetzer und jemand, der das Ergebnis in die üblichen eBook-Shops einstellt.
Die Neo-Serie
Als ich von der Idee der NEO-Serie zum ersten Mal hörte, habe ich das als ausgemachten Blödsinn abgetan. Auf dem Weltcon 2011 wurde dann Band 1 an die Fans verschenkt, und ich war sehr überrascht, als ich mich nachts halb drei dabei ertappte, das nicht gerade dünne Heft (doppelter Umfang der normalen PR-Hefte, dafür erscheint NEO nur alle zwei Wochen) ausgelesen zu haben. Frank Borsch hatte mit „Sternenstaub“ tatsächlich eine sehr spannende Geschichte abgeliefert, und man sah vor sich, wie das NEOversum funktionieren sollte: Die Grundzüge der Original-Geschichte blieben gleich, wurden jedoch aufpoliert und in die Zukunft verlegt. Bei Nebencharakteren wurde dann schon eher durchgegriffen. Motivationen wurden angepasst, Charaktere geändert und auch ganz neue Figuren eingeführt.
Ich fand das durchaus spannend, dass die Autoren hier die Möglichkeit haben, Fehler der Originalserie zu vermeiden, Dinge gleich richtig zu machen, ehemals platte Handlungen dreidimensionaler zu gestalten. Man hat ja das Wissen um den gesamten Verlauf der Erstauflage parat und kann mit diesem Vorwissen ausgestattet die NEO-Handlung entsprechend gestalten. Ein prägnantes Beispiel dafür: Die sehr beliebte Hauptfigur Atlan wurde in der Erstauflage damals erst mit Heft 50 eingeführt und taucht vorher naturgemäß nicht auf, obwohl das nicht direkt Sinn ergibt. In NEO sehen wir nun schon in den ersten fünf oder so Heften Andeutungen Atlans, die jeder versteht, der auch nur ein bisschen die Anfänge der Perry-Rhodan-Serie kennt. Das schafft zum einen gespannte Vorfreude auf den irgendwann tatsächlich erfolgenden Auftritt Atlans, und zum anderen ergibt es auch ein stimmigeres Gesamtbild, denn wieso sollte Atlan mehrere Jahrzehnte an so spannenden Entwicklungen einfach verschlafen?!
Im weiteren Verlauf NEOs äußert sich das auch positiv an vielen Charakteren, die in der Originalserie zwar präsent waren, aber nicht gerade durch Tiefgründigkeit glänzten. Tatjana Michalowna kommt mir da in den Sinn, die in NEO sehr glaubwürdig geschildert wird. Und vor allem Iwan und Iwanowitsch Goratschin: In der Originalserie waren die Goratschins ein grünhäutiger Mutant mit zwei Köpfen und zwei Bewusstseinen. Meine Erinnerung kann mich trügen, aber Goratschins Charakterisierung ging glaube ich nicht darüber hinaus, dass sie per Gedankenkraft Dinge in die Luft jagen konnten. In NEO gibt es beide Goratschins als eigenständige Menschen (siamesische Zwillinge, die als Kinder getrennt wurden), mit verschiedenen Charakteren und Motivationen. Die Mutantenfähigkeit hat man behalten, aber das überzeichnet-comichafte durch echte Charaktere ersetzt.
Spannend ist es übrigens, beide Serien parallel zu lesen. Ich habe tatsächlich die ganz alten Hefte hervorgekramt und drei oder vier Hefte der Originalserie noch mal gelesen. Die Parallelen und Unterschiede sind wirklich spannend, auf Dauer verwirrt es aber zu sehr, als dass man es regelmäßig betreiben könnte.
Lesemotivation
Wie gesagt, anfangs hielt ich die NEO-Idee für ausgemachten Blödsinn. Nach dem ersten Roman war ich begeistert und halbwegs entschlossen, der Serie eine Chance zu geben. Nach dem zweiten Roman war ich stark ernüchtert, wollte dann aber doch wissen, wie es weiterging. Ich wusste jedoch relativ schnell, dass NEO meine Erwartungen nicht erfüllt, jedenfalls nicht genug. Ausgestiegen bin ich nach Heft 19.
Unabhängig von den gleich anzubringenden Kritikpunkten habe ich das Lesen von NEO hauptsächlich aus zwei praktischen Gesichtspunkten aufgegeben. Zum einen stapeln sich hier schon ca. 1800 Hefte Perry Rhodan. Es wäre Wahnsinn, dem weitere Heftroman-Berge hinzuzufügen, zumal NEO nicht gerade hochwertig gedruckt ist und man den Heften schon einmaliges Lesen ansieht. Argument zwei ist die dämliche Erscheinungsweise: NEO kommt alle zwei Wochen heraus, und man kriegt es nicht in jedem Zeitungsladen. Von den 19 Heften, die ich gelesen habe, habe ich entsprechend gleich zwei bei eBay nachgekauft, weil ich den Zeitpunkt zum Kaufen im Laden verpasst hatte. Soll heißen: Hätte ich einen E-Book-Reader, auf den man NEO abonnieren könnte, und würden die digitalen Hefte deutlich weniger kosten als die Papier-Variante, würde ich NEO vielleicht immer noch lesen.
Zuerst jedoch die Frage, wieso ich überhaupt 19 Hefte durchgehalten habe. Ich muss zugeben, NEO übte bei allen Problemen eine eigenartige Faszination auf mich aus. Ich erkläre mir das aus der Rolle, die Perry Rhodan in meinem Leben bisher gespielt hat: Ich habe meinen ersten Silberband 1992 gelesen. Nach 52 Silberbänden bin ich 1996 in die Erstauflage eingestiegen, parallel dazu habe ich irgendwann noch die Hefte 600 bis 800 gelesen. 2003 war der Thoregon-Großzyklus zu Ende, und ich bin kurz nach Heft 2200 ausgestiegen, weil die Handlung extrem zäh war und sich bei mir ungelesene Hefte nur so stapelten. Mittlerweile hänge ich bei der Erstauflage also 400+ Hefte zurück, ein Wiedereinstieg ist da nicht ohne weiteres möglich. NEO bot nun plötzlich die Möglichkeit, nach so vielen Jahren wieder Geschichten aus dem PR-Universum zu lesen, ohne Vorwissen, ohne Stress.
Noch besser: Obwohl ich die Anfangszeit der PR-Serie vor 20 Jahren gelesen habe, sind die Namen bei mir präsent. Ich kann aus dem Stand mehr Mutanten aus den ersten 100 Heften aufzählen als Charaktere aus dem ganzen 400-Hefte-Thoregon-Zyklus. Namen wie Tako Kakuta, Ishy Matsu, Anne Sloane, Betty Toufry etc. wecken ungeahnte Nostalgie, ungeachtet der Tatsache, dass sie in der Originalserie nie wirklich so richtig plastische Charaktere waren (allein schon wegen der Vielzahl der Mutanten damals). Neue Geschichten von Julian Tifflor zu lesen, der in der Erstauflage alle 50 Hefte mal als Stichwortgeber vorkommt, war ebenfalls toll.
Probleme
Ich hatte erwähnt, dass mich schon Band zwei wieder enttäuscht hat. Schon bei den ersten NEO-Heften wurde eine meiner Erwartungen widerlegt: Ich hatte instinktiv angenommen, dass NEO mit mehr Sorgfalt erstellt werden würde, dass man die bekannte Geschichte „besser“ erzählen würde, mit mehr Tiefe und besser aufeinander abgestimmt. An einigen Punkten hat das durchaus funktioniert, wie oben schon erwähnt. Es gibt in NEO gut geschilderte Charaktere und auch die beschriebene Welt ist spannend. Man merkt jedoch, dass NEO unter genau dem gleichen Zeitdruck entsteht wie die Originalserie, zudem schreiben für NEO viele neue Autoren. Für jeden gut geschilderten Charakter gibt es dann leider auch nicht wirklich nachvollziehbare Charaktere. Gerade der am Anfang sehr wichtige Charaktere Bai Jun wird in vier Romanen von vier Autoren komplett unterschiedlich beschrieben, so dass man ihn quasi nicht wiedererkennt. Das gleiche gilt für die Welt: So stimmig sie im ersten NEO-Band ist, so lückenhaft wird sie später. Mehrere Hefte lang werden politische Fragen im Detail beschrieben, dann wird die Politik der Erde plötzlich völlig ausgeblendet und wir erfahren größere Entwicklungen in einer knappen Rückblende quasi aus dem Off. Die NEO-Geschichten sind damit leider in sich auch nicht konsistenter als die Erstauflage, eine Heftroman-Serie ist kein langer Roman, und ein Team von einem Dutzend Autoren liefert nicht die gleiche Qualität wie ein Andreas Eschbach.
Andere Probleme traten subtiler auf: Man ist bei NEO ja versucht, dem grundsätzlichen Verlauf der bekannten Handlung zu folgen. Schon in den ersten Heften wurden größere Abweichungen eingebaut, aber an einigen Stellen hat man Dinge meiner Meinung nach unreflektiert übernommen, die für NEO nicht nötig sind. Die Geschichten um Ernst Ellert und Harno etwa hätte ich ersatzlos gestrichen. Insbesondere die Harno-Geschichte wirkte sehr unmotiviert. In der Erstauflage war das ein Einzelabenteuer, glaube ich, das erst im Nachhinein wieder aufgegriffen wurde. Wenn NEO längerfristig überleben will, muss man sich von so etwas aber lösen und letztlich doch eigene Wege gehen. Dann muss es reichen, dass man einen Posbi-Zyklus oder eben die Meister der Insel macht, ohne dass man jeden Charakter und jeden Planeten aus dem Original einbaut.
In diesem Zusammenhang noch eine Detailkritik: So plastisch viele Charaktere geschildert sind, so blass bleibt ausgerechnet Perry Rhodan selbst. Es gelingt in NEO nicht wirklich, den Titelhelden mit echtem Leben zu füllen, finde ich. Zudem baut man unnötig Sachen ein, die den Charakter in meinen Augen regelrecht unglaubwürdig machen. Zum Beispiel hat Thora im Gegensatz zur Originalserie in NEO offenbar ein Dutzend menschliche Astronauten auf dem Mond umgebracht, um dort ihre Ruhe zu haben. Das wird jedoch kaum thematisiert und scheint den sich erwartungsgemäß in sie verliebenden Perry kein bisschen zu stören.
Problematisch sehe ich auf lange Sicht die Koexistenz der beiden Perryversen. Verstehen neue Leser, dass sie mit NEO nicht die Vorgeschichte der Erstauflage lesen? Verstehen sie, dass NEO nicht zum Einstieg ins restliche Perryversum taugt? Und wie lange wird es dauern, ehe ein Autor in der Erstauflage aus Versehen auf Geschehnisse aus NEO Bezug nimmt? Auch aus Vermarktungssicht muss das langfristig nicht unbedingt gut sein, denn der Grund, warum man in NEO einsteigt und nicht in die Erstauflage ist ja vermutlich dauerhaft der Grund, warum man keine anderen PR-Publikationen liest. Die beiden Welten passen einfach nicht zusammen, was sich auch nicht ändern wird. Man gewinnt damit also vermutlich kaum neue Leser für die Erstauflage.
Trotzdem ist es natürlich toll, dass Perry Rhodan lebendig ist und Menschen auch heute noch die Geschichten lesen. Gerade die Anfangsstory von Perry Rhodan hat meiner Meinung nach nichts von ihrer damaligen Bedeutung verloren, wie ja auch Frank Borsch mit dem ersten NEO-Band gezeigt hat. Trotzdem ist glaube ich die behutsame Überarbeitung der alten Geschichten die bessere Lösung als ein Reboot. Ersteres gibt es ja seit Jahr und Tag in Form der Silberbände, in denen die einzelnen Heftromane zu einem echten Buch zusammengefasst werden, mit teilweise auch radikaleren Umstellungen.
Fazit
Ich will „Perry Rhodan NEO“ niemandem madig machen, auch wenn es meine persönlichen Erwartungen nicht erfüllt hat. Man darf halt nicht mehr erwarten, als man dann tatsächlich kriegt, dann kann man an der Lektüre durchaus Spaß haben. Aus praktischen Gründen würde ich auf jeden Fall die E-Books empfehlen. Wie sich das Verhältnis der beiden Perryversen auf lange Sicht zueinander verhält, bleibt abzuwarten.
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Hallo Johannes! Sorry, ich lese mich gerade durch alle Artikel auf deinem Blog die halbwegs was mir PR zu tun haben 🙂 (Brettspiele, Fedcon Bonn sind auch toll, aber jetzt liegt der Fokus auf PR..)
Habe letztes Jahr auch PR Neo versucht. Ich habe mir die Bände geholt die das erste Zusammentreffen von Perry und Atlan schildern, weil darauf war ich am meisten gespannt. Leider wurde das ja mal nu komplett vergeigt.
Nachdem sie sich drei Bände später immer noch „siezten“ habe ich schwer enttäuscht wieder aufgegeben 🙁