Stellen Sie sich vor…

Der Schatten näherte sich lautlos. Er fiel auf den Mond, verdeckte die Sterne. Noch ahnte niemand etwas davon, was da auf die Erde zukam. Erst allmählich wurde man in den militärischen Kontrollzentren aufmerksam. Bald wurde Alarm gegeben.

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich schon ein riesiger Diskus zwischen die Sonne und die Erde geschoben. Binnen weniger Minuten wurde es finster auf der Erde, und jetzt merkte auch der Großteil der Bevölkerung, das etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Doch nur die Spezialisten vor den Ortungsgeräten wurden Zeuge, wie sich das Schiff auflöste und zu einer kleinen Flotte zerfiel.

Unsichtbar aus dem All begann sich nun eine hektische Aktivität zu entfalten. Man war auf diesen Fall nicht vorbereitet, nicht im mindesten. Wenn man so etwas im Kino sah, wirkte es so einfach, eine weltweite Verteidigung aufzubauen und die Aliens nach Hause zu bomben. Doch die Schiffe im All ließen den Militärs der Erde nicht die geringste Chance. Es gab keine Koordinierungssignale, keine mehrstündige Vorbereitungsphase. Die Schiffe hatten ihre Befehle, es gab keinen Grund, länger zu warten.

Vier Einheiten schoben sich näher an den Planeten heran und begannen, einen Energiestrahl zu emittieren. Dem Kommandanten der Flotte wurde gemeldet, dass der Computer einige primitive, atomare Raketen auf Angriffskurs entdeckt und neutralisiert hatte. Der Kommandant nickte desinteressiert und konzentrierte sich auf das weitere Geschehen.

Der Strahl fraß sich in die Atmosphäre und begann, sie aufzulösen. Schon nach kurzer Zeit war der gesamte Luftvorrat des Planeten in Energie umgewandelt, die den Schiffsmaschinen zugeführt wurde. Jegliches Leben erstarb. Die meisten der Bewohner vergingen, ehe sie begriffen, was passierte, und mit ihnen starben alle Tiere und Pflanzen. Die Kälte des Weltalls bemächtigte sich des Planeten, die Reste der großen Ozeane hielten sich nur einige Minuten, bevor sie zu Eis erstarrten.

Phase II beginnt, wurde dem Kommandanten gemeldet. Eine aus dreißig Schiffen bestehende Flotteneinheit näherte sich dem Planeten und schaltete ihre Spezialmaschinen ein. Für den uneingeweihten Beobachter, den es in dieser Situation nur hypothetisch gab, wäre nichts zu erkennen gewesen. Doch das höherdimensional denkende Gehirn des Kommandanten mit den entsprechend ausgebildeten Sinnesorganen nahm die Wirkung der Maschinen sofort wahr. Der Planet begann sich zu verändern. Unter der Einwirkung einer unbegreiflichen Strahlungsart erstarrten der obere und der untere Mantel. Nach einer halben Stunde reichte die Wirkung schließlich bis in den tiefsten Kern des Planeten. Das Eis an der Oberfläche war verschwunden, ebenso der flüssige Kern, und für den Kommandanten stellte sich der Planet nun als eine einheitliche, homogene Kugel dar.

Der letzte Akt dieses Dramas konnte beginnen. Das Bohrschiff landete auf dem Planeten. In dem 4 Kilometer hohen Kegel liefen starke Maschinen an, die Zielvorrichtungen wurden auf den Mittelpunkt des Planeten justiert. Ein stark gebündelter Energiestrahl begann, sich in den Boden zu fressen, Absaugvorrichtungen beseitigten den vergasten Planetenboden. Ein Schacht entstand, mit einem mittleren Durchmesser von 20 Zentimetern.

Und immer weiter fraß sich der Strahl in den Boden. Erst nach etwa einer Stunde wurden die Maschinen abgestellt, der Strahl hatte den Planetenboden auf der anderen Seite durchbrochen.

Das Bohrschiff startete und gesellte sich zum Rest der Flotte, dafür löste sich ein anderes Schiff aus dem Verband und nahm Kurs auf den Planeten. An Bord hatte es den Kommandanten. Das Schiff ging unmittelbar neben dem Schacht nieder, eine Schleuse öffnete sich und entließ den Kommandanten. Er trug einen klobigen Schutzanzug und bewegte sich auf den Schacht zu. Seine Schritte waren lautlos, denn es gab keine Atmosphäre mehr, die die Schallwellen hätte leiten können. Doch im Innern des Anzugs war das Zischen seines Atems ganz deutlich zu hören.

Suchend blickte er sich auf dem Boden um, dann hob er einen kleinen Stein auf und hielt ihn genau über den Schacht. Er war bereit. Bereit, die größte Aufgabe seines Lebens zu vollenden und hinter das ultimate Geheimnis dieses Universums zu kommen. Er ließ den Stein los. Der Stein fiel. Und fiel. Und fiel.

Mit seinem unglaublich komplexen Gehirn wertete der Kommandant die Bewegung des Steines aus. Beschleunigungsphase, Bremsphase, Umkehrpunkt. Der Stein verließ den Schacht nicht am anderen Ende, sondern bewegte sich wieder in Richtung auf den Mittelpunkt und darüber hinaus, bis zum hiesigen Ende des Schachtes. Und so schwang er zwischen diesen beiden Punkten hin und her.

‚Harmonisch‘, murmelte der Kommandant. ‚Eine harmonische Schwingung, ohne Zweifel!‘

Und in diesem Moment verging das Universum, es hatte seinen Zweck erfüllt. Es hörte einfach auf, zu existieren und wurde abgelöst von einem schrillen Geräusch, das entfernt dem Klingeln eines Weckers ähnelte. Dieses Klingeln hallte wider in dem leeren Raum, den das Universum hinterlassen hatte, bis ein metallisches Scheppern zu hören war und dann nur noch Stille. Helligkeit drang auf einmal herein und ein verschwommenes Bild wurde sichtbar. „Aufstehen, es ist halb sieben!“

Mist! Montag morgen. Martin quälte sich aus dem Bett und schleppte sich ins Bad. Während er seinen Kopf unter kaltes Wasser hielt, fiel ihm wieder ein, worüber er gestern Abend eingeschlafen war: die Physik-Hausaufgaben. Also noch mal ins Zimmer und den Hefter hinter dem Bett hervorzerren. Da war es ja.

„Stellen Sie sich vor, die Erde wäre eine Kugel mit homogener Dichte und wir würden ein 20 cm durchmessendes Loch genau durch ihren Mittelpunkt bohren. Wenn wir jetzt einen Stein in dieses Loch werfen, was passiert dann mit ihm, unter Vernachlässigung von Reibung und Luftwiderstand?“

Martin starrte auf seinen Hefter. Ein Gedanke fuhr ihm durch den Kopf: Gott, wie kann man sich nur solche Fragen ausdenken?

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So, noch mal kurz drüber schauen und dann nichts wie ab damit. Vielen Dank fürs Kommentieren! :-)