Hänsel und Gretel

Es war einmal vor langer Zeit eine alte Frau, die lebte ganz allein in einem großen Wald in einer windschiefen Hütte. Eines Abends klopfte es an ihrer Tür und ein Mann kam herein. Obwohl sie selber kaum genug zu essen hatte, bewirtete sie den Wanderer und ließ ihn in ihrer Hütte übernachten. Am nächsten Morgen war der Gast verschwunden, doch er hatte ihr ein Geschenk dagelassen: Die alte, windschiefe Hütte hatte sich in ein kleines Häuschen aus Lebkuchen verwandelt, und wenn man davon aß, so wuchs der Lebkuchen von selber wieder nach. Die Frau erkannte, dass der Wanderer ein Zauberer war, und sie freute sich sehr, denn jetzt brauchte sie auf ihre alten Tage nicht mehr zu hungern. So lebte sie viele Jahre glücklich und zufrieden.

Doch eines Tages, als sie gerade in ihrer Küche saß, hörte sie von draußen Geräusche. Es klirrte und knackte, als würde jemand Stücke von ihrem Haus abbrechen. Die alte Frau rief mit ängstlicher Stimme:

„Knusper, knusper, knäuschen,
wer knuspert an meinem Häuschen?“

Und von draußen erscholl die zweistimmige Antwort:

„Der Wind, der Wind, das himmlische Kind.“

Nun wagte sich die Alte doch heraus und als sie die Tür aufgemacht hatte, da sah sie zwei Kinder, einen Jungen und ein Mädchen, die an einem abgebrochenen Lebkuchen knabberten.

Als sie die gebrechliche Frau erblickten, wie sie auf ihrer Krücke durch die Tür geschlichen kam, erschraken die beiden. Doch die Alte sprach: „Ei, ihr lieben Kinder, wer hat euch hierher gebracht? Kommt nur herein und bleibt bei mir, es geschieht euch kein Leid.“

Sie fasste beide an der Hand und führte sie in ihr Häuschen, wo sie sie bewirtete und ihnen gegen Abend zwei Betten zurecht machte.

Die ganze Zeit hatten sich die beiden Kinder sehr freundlich benommen, doch sie hatten sich nur verstellt. In Wirklichkeit waren sie böse, hinterlistig und faul und hatten mit ihren Streichen die Eltern jahrelang zur Verzweiflung getrieben, bis diese sich nicht mehr anders zu helfen wussten als die Kinder im Wald auszusetzen. Nachdem sie drei Tage durch den Wald gewandert waren, waren sie an das Lebkuchenhaus gekommen. Und weil ihnen dieses wundersame Haus gefiel, beschlossen sie, dort zu bleiben.

Früh morgens gingen sie zu der alten Frau, rüttelten sie wach und riefen: „Steh auf, Faulenzerin, trag Wasser und koch uns etwas Gutes, denn wir sind hungrig.“ Die alte Frau fing an, bitterlich zu weinen, doch es war alles vergeblich, sie musste tun, was die bösen Kinder von ihr verlangten. Nun ward den Kindern das beste Essen gekocht, aber die alte Frau bekam nichts als Krebsschalen.

Es waren gerade vier Wochen vergangen, da stöberte Hänsel mal wieder im Haus herum und kam dabei auch in den Keller. Dort aber standen in allen Ecken Kasten mit Perlen und Edelsteinen. Diese hatte der Zauberer der Frau zusammen mit dem Haus geschenkt, sie hatte sich aber nie getraut die steilen Kellertreppen hinunterzusteigen, da sie schon etwas gebrechlich war. So hatte sie niemals von all den Schätzen erfahren.

Hänsel erzählte sofort Gretel von seiner Entdeckung. „Von all diesem Reichtum können wir uns ein ganzes Schloss leisten und wesentlich bessere Diener als diese alte Hexe. Sie ist faul und arbeitet viel zu langsam“, sprach Gretel, die der vielen Lebkuchen überdrüssig geworden war, und gemeinsam beschlossen sie, die Frau aus dem Weg zu räumen.

„Heute wollen wir backen“, sagte Gretel zu der alten Frau am nächsten Morgen. „Ich habe den Backofen schon eingeheizt und den Teig geknetet.“

Die Kinder stießen die arme Frau hinaus zu dem Backofen, aus dem die Feuerflammen schon herausschlugen. „Kriech hinein“, sagte Hänsel, „und sieh zu, ob recht eingeheizt ist, damit wir das Brot hineinschieben können.“ Und als die Alte ihren Kopf in den Ofen steckte, da gab ihr Gretel einen Stoß, dass sie weit hineinfuhr, machte die eiserne Tür zu und schob den Riegel vor. Da fing sie an zu heulen, ganz grauselich, aber Hänsel und Gretel liefen fort, und die arme Frau musste elendiglich verbrennen.

Hänsel und Gretel aber liefen schnurstracks in den Keller und holten die Schätze hervor. Dann steckten sie sich in die Taschen, was hinein wollte, und machten sich auf den Weg in die Stadt, um sich ein Schloss zu kaufen. Unterwegs allerdings mussten beide jämmerlich ertrinken, weil sie versucht hatten, sich von einer Ente über ein Wasser tragen zu lassen.

ENDE

In späteren Versionen dieser Geschichte wurden die Ereignisse oftmals haarsträubend verfälscht. Es ist aber einwandfrei bewiesen, dass sich die Geschichte so und nicht anders zugetragen hat.

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So, noch mal kurz drüber schauen und dann nichts wie ab damit. Vielen Dank fürs Kommentieren! :-)