Hänsel und Grätel

In einer kleinen Stadt wohnte ein armer Fischverkäufer mit seiner Frau und seinen zwei Kindern; der Junge hieß Hänsel und das Mädchen Grätel. Seine Einnahmen waren sehr gering, und als in der Nachbarschaft wieder eine Aldi-Filiale aufmachte, wollte ihm keiner mehr seine Fische abkaufen.

Wie er sich nun abends in seinem Bette (mit der modernen Matratze für extra weichen Schlafgenuss) Gedanken machte und herumwälzte, seufzte er und sprach zu seiner Frau: „Was soll aus uns werden? Wie können wir uns ein zweites Auto kaufen, wenn wir unsere armen Kinder ernähren müssen?“

„Weißt du was, Mann“, antwortete die Frau, die sich gerade eine Gurkenmaske gemacht hatte, „wir wollen morgen in aller Frühe die Kinder auf den Bahnhof führen, da setzen wir sie in einen Zug und geben jedem eine Fahrkarte, dann gehen wir an unsere Arbeit und lassen sie allein. Sie finden den Weg nicht mehr nach Hause und wir sind sie los.“

„Nein, Frau“, sagte der Mann, „das tue ich nicht; wer soll denn dann den Müll wegbringen und den Abwasch machen, wenn die Kinder nicht mehr da sind?“

„Oh du Narr“, sagte sie, „dann müssen wir weiter mit nur einem Auto leben, und denk nur an die Raten für die Waschmaschine.“ Und sie ließ ihm keine Ruhe bis er einwilligte. Die zwei Kinder hatten in ihrem Zimmer noch ferngesehen und hatten gehört, was die Stiefmutter zum Vater gesagt hatte. Grätel weinte bittere Tränen und sprach zu Hänsel: „Nun ist’s um uns geschehen. Wir werden die Fortsetzung von Beverly Hills verpassen.“

„Still, Grätel“, sprach Hänsel, „gräme dich nicht, ich will uns schon helfen.“ Und als die Alten eingeschlafen waren, stand er auf, zog sein T-Shirt und seine Jeans an und holte seinen kleinen, tragbaren Fernseher aus der Wohnstube. Dann schlich er zur Tür hinaus und sah die Kieselsteine, mit denen er dem Nachbarn immer die Fensterscheiben zerschoss.

Im Licht der großen Dr.-Oetker-Reklame glänzten sie wie 5-Mark-Stücke, und Hänsel steckte so viele davon in seine Wrangler Jeans wie hinein passten. Dann ging er wieder zurück, sprach zu seiner Schwester: „Sei getrost, liebes Schwesterchen, wir werden Beverly Hills nicht verpassen“, und legte sich wieder in sein Bett.

Als der Tag anbrach, noch bevor das Frühstücksfernsehen angefangen hatte, kam schon die Frau und weckte die beiden Kinder: „Steht auf, ihr Faulenzer, wir wollen ans Meer fahren und für euren Vater ein paar frische Fische kaufen.“ Dann gab sie jedem eine Fahrkarte und sprach: „Da habt ihr eure Fahrkarte, aber verliert sie nicht, eine neue kriegt ihr nicht.“

Danach fuhren sie alle mit dem Bus zum Bahnhof. Als sie mitten auf den Bahnsteig gekommen waren, sprach der Vater: „Nun setzt euch in den Zug, ihr Kinder, und ruht euch aus. Wir gehen zum Fahrkartenschalter und kaufen unsere beiden Karten. Wenn wir fertig sind, kommen wir wieder zu euch.“ Hänsel und Grätel stiegen ein und setzten sich ans Fenster. Nach einer Weile holten sie ihren kleinen Fernseher raus und sahen sich Beverly Hills an. Und als die Folge zu Ende war, merkten sie, dass ihre Eltern immer noch nicht da waren, obwohl der Zug schon den Bahnhof verließ. Da machte Hänsel das Fenster auf und warf alle paar Sekunden einen Kieselstein hinaus.

Als der Zug endlich anhielt, da war es schon finstere Nacht. Grätel fing an zu weinen und Hänsel tröstete sie und sprach: „Wart nur, Grätel, bis der Mond aufgeht, dann werden wir die Kieselsteine sehen, die ich ausgestreut habe, die zeigen uns den Weg nach Hause.“ Als der Mond kam, machten sie sich auf, aber sie fanden den richtigen Weg nicht, denn alle Gleise waren auf Kieselsteinen angelegt worden. So irrten sie lange Zeit auf dem fremden Bahnhof herum, auf der Suche nach einem warmen Plätzchen. Nach vielen Stunden schließlich sahen sie einen alten Eisenbahnwaggon, in dem Licht brannte. Draußen war es sehr kalt, und deshalb gingen sie näher, um zu sehen wer in dem Waggon lebte. Dabei stolperte Hänsel über eine Kiste mit Lebkuchen, die hier abgestellt worden war, weil sie der anspruchsvoll hohen Qualität der Marktkaufprodukte nicht mehr entsprachen. Da rief eine Stimme aus dem Waggon heraus:

„Knusper, knusper, knäuschen,
wer schleicht da um mein Häuschen?“

Die Kinder antworteten: „Die Steuerfahndung“, und gingen weiter ohne sich irre machen zu lassen. Da ging auf einmal die Türe auf, und eine Frau mittleren Alters kam die drei Stufen des Waggons herunter gesprungen und sagte: „Ei, ihr lieben Kinder, was macht ihr denn hier? Kommt ruhig rein und macht es euch gemütlich.“ Die Kinder, die im Hintergrund einen Fernseher erspäht hatten und auf keinen Fall Akte X verpassen wollten, folgten der Frau bereitwillig ins Innere des Waggons.

Dort bekamen sie jeder ein Glas mit der wertvollen Landliebe-Milch, die extra viel Calcium enthielt, und die Frau machte ihnen in der Mikrowelle schnell eins der leckeren Käsegerichte von Miracoli warm. Danach richtete sie ihnen im letzten Abteil zwei Betten her, die dank Ariel Ultra Futur schneeweiß glänzten.

Die Frau hatte sich aber nur verstellt, in Wirklichkeit gehörte sie einer Kannibalen-Sekte an, und immer, wenn sie Hunger hatte, entführte sie ein Kind und verspeiste es. Hänsel und Grätel waren ihr gerade recht gekommen, denn sie fastete schon seit 3 Wochen.

Frühmorgens wurde sie von ihrer Funkuhr geweckt und ging zu den Kindern, die noch schliefen. Sie packte Hänsel, trug ihn in ein leeres Abteil und sperrte ihn dort ein. Dann ging sie zu Grätel, rüttelte sie wach und rief: „Steh auf Faulenzerin und wasch ab. Ich brauche das Mikrowellengeschirr für deinen Bruder. Der sitzt in einem Abteil und soll fett werden, und wenn er fett ist, werde ich ihn essen.“

In den nächsten 4 Wochen bekam Hänsel nur das beste Mikrowellenessen, Grätel aber musste mit herkömmlichen Billigprodukten leben. Jeden Morgen ging die Frau zu dem Abteil und ließ sich von Hänsel einen Finger herausstrecken, um zu sehen, ob er schon fett wäre. Hänsel streckte ihr aber einen der wohlschmeckenden Chappi-Hundeknochen heraus, den er noch in seiner Hosentasche gefunden hatte, und die Frau, die trotz ihrer schlechten Augen noch nicht auf die Idee gekommen war, sich eine der günstigen Fielmann-Brillen zu holen, meinte, es wäre Hänsels Finger. Als 4 Wochen herum waren und sich der Chappi-Knochen immer noch mager anfühlte, da wurde ihr Hunger so groß, dass sie nicht mehr länger warten wollte, zumal das Pökelfleisch, das sie aus ihrem letzten Fang gemacht hatte, gerade zu Ende gegangen war.

„Grätel“, rief sie dem Mädchen zu. „Polier diesen Bratspieß dort, morgen wird der Hänsel geschlachtet, ob er dick ist oder nicht!“ Grätel fing an, bitterlich zu weinen, denn wie sollte sie ohne ihren Bruder den Videorecorder bedienen?

Frühmorgens musste Grätel hinaus und den Bratspieß über dem kompakten und benutzerfreundlichen Elektro-Grillherd aufhängen.
„Erst wollen wir backen“, sagte die Alte, „ich habe den ofenfertigen Pizza-Teig von Mondamin schon geknetet.“ Ihr neuer Siemens-HighTech-Herd würde leider erst in einer Woche geliefert werden, und deshalb musste sie sich anders helfen.

Sie stieß die arme Grätel zu einer alten Dampflok, in deren Kessel sie schon ein ordentliches Feuer gemacht hatte und befahl ihr: „Das qualitativ hochwertige Kunstglasthermometer liegt irgendwo auf dem Boden des Kessels. Kriech hinein und sieh nach, ob es schon 550° sind.“ Und wenn Grätel drinnen war, wollte sie die Luke schließen und Grätel in dem Kessel braten. Doch in diesem Augenblick wurde sie von zwei Polizisten aus der Lok gezerrt und verhaftet. Hänsel hatte sich nämlich an einen Trick aus MacGyver erinnert, mit dem es ihm gelungen war, das Schloss an der Tür zu öffnen. Als er sah, was die Frau mit Grätel vorhatte, hatte er sofort die Bahnhofspolizei alarmiert, denn er dachte sich: „Wen soll ich in Zukunft erpressen, wenn Grätel gebraten und aufgegessen wird?“

Die Hexe wurde zu 241 Jahren Haft verurteilt, weil sie in den letzten 30 Jahren ihren Fernseher nicht angemeldet hatte. Hänsel und Grätel aber schrieben über ihre Erlebnisse einen Bestseller und von dem Honorar lebten sie glücklich bis an ihr Lebensende, welches sie dank der aufbauenden und verjüngenden Wirkung von Tetefit-Vitaminkuren lange hinauszögern konnten.

ENDE

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So, noch mal kurz drüber schauen und dann nichts wie ab damit. Vielen Dank fürs Kommentieren! :-)