Thomas Sweterlitsch: Tomorrow and Tomorrow

Tomorrow and Tomorrow

Rezension zu „Tomorrow and Tomorrow“ von Thomas Sweterlitsch, 339 Seiten, Headline Review Books, 2015

Deutsche Ausgabe: „Tomorrow & Tomorrow“, 2015, Heyne Verlag

Inhalt

John Dominic Blaxton ist einer der wenigen Überlebenden der Zerstörung von Pittsburgh. Als ein Terrorist vor zehn Jahren die Bombe zündete und die gesamte Stadt auslöschte, befand Dominic sich auf Reisen. An diesem Tag verlor er seine Frau Theresa, sein ungeborenes Kind, seine Heimat und einen Teil von sich selbst. Nun verbringt er einen Großteil seines Lebens im City-Archiv, einer virtuellen Rekonstruktion von Pittsburgh, in die man sich über die implantierte Adware einloggen kann. John rekonstruiert dort für Versicherungsfirmen das Schicksal einzelner Personen, deren Tod durch die Bombe er anhand der Überwachungsaufnahmen verifiziert. Gleichzeitig ist das Archiv für ihn ein Zuhause, wo er durch die archivierten Aufnahmen seiner Frau nahe sein kann.

Auf der einen Seite konserviert das City-Archiv Ereignisse für die Ewigkeit, auch solche, die andere gerne in Vergessenheit geraten lassen würden. Auf der anderen Seite ist das Archiv nur die Summe seiner Daten, und diese können manipuliert werden. Während Dominic den Fall von Hannah Massey bearbeitet, einer jungen Frau, deren Leiche er in den archivierten Aufnahmen aus Pittsburgh aufspürt, gerät sein eigenes Leben aus den Fugen. Schließlich wird er von dem Milliardär Waverly angeheuert, um herauszufinden, wer seine Tochter Albion aus dem Archiv löscht. Die Spuren der jungen Frau werden nach und nach getilgt und durch andere Aufnahmen ersetzt. Dominic verbeißt sich in den Fall und tritt damit gefährliche Ereignisse los…

Bewertung

„Tomorrow and Tomorrow“ ist ein faszinierender Roman, der sich in Stil und Geschichte abhebt. Die Reviews auf Amazon waren durchwachsen, was ich durchaus verstehen kann. Der Schreibstil des Autors liegt sicher nicht jedem und ist ziemlich weit entfernt von dem tollen, sorgfältigen Stil von z.B. Philip Pullman. Der Effekt, den Thomas Sweterlitsch mit seinem Ich-Erzähler in Gegenwartsform erreichen will, ähnelt ein bisschen einem Film, der wackelige Handkameras verwendet statt sorgfältiger Kamerafahrten. Die Geschichte ist einfach ganz nah dran dem Protagonisten und wird komplett aus dessen Perspektive erzählt. Der Autor verwendet viele kurze Sätze und Aneinanderreihungen von Gedanken, an anderen Stellen aber auch Schachtelsätze. Es ist ein Effekt, den er damit erreichen will, und ich zumindest fand das nicht unangenehm zu lesen, auch wenn ich Romane in Gegenwartsform normalerweise nicht mag.

Wie immer bei Romanen mit Ich-Erzähler steht und fällt die Geschichte mit diesem Protagonisten. John Dominic Blaxton wird dabei nicht als klassische Heldenfigur geschildert. Er ist durch die Ereignisse gebrochen worden, und seine Trauer um seine Familie kommt ziemlich gut rüber. Ansonsten ist er als Charakter aber durchaus etwas schwer zu greifen. Das mag auch daran liegen, dass die Erzählung eben sehr direkt aus seiner Perspektive erfolgt und es damit nicht ganz so viel Raum gibt, seine Motive oder Gefühle zu erklären. Wenn man eine eigene Geschichte erzählen würde, würde man halt vieles als gegeben voraussetzen und nicht erwähnen, was ein Erzähler in der dritten Person kurz nebenbei erklären könnte. Diese Nähe zum Charakter sorgt leider auch etwas dafür, dass man als Leser nicht immer den besten Überblick hat, was in der Handlung gerade passiert. Das hätte man hier und da besser strukturieren können, denke ich.

Die Welt, welche der Autor schildert, ist relativ düster. Man kann nebenbei immer wieder herauslesen, dass es den USA in dieser Zukunft nicht wirklich gut geht, jedenfalls den armen Amerikanern. Wer reich ist, hat natürlich trotzdem ein schönes Leben. Ich denke, der Autor nimmt hier einfach den aktuellen Zustand und spinnt das weiter. In seiner Welt wird alles monetarisiert. Da verkaufen z.B. die Hinterbliebenen Aufnahmen eines Mordopfers an Shows wie „Teen Crime Scene Superstar“, noch bevor die Leiche abtransportiert ist. Moralische Schranken scheint es hier nicht mehr zu geben. Das ist aber mehr Background als wirklich Fokus der Geschichte. Was der Autor ebenfalls als Background nimmt, ist die ständige Nennung von echten Produktnamen und Firmen. Wenn man das wohldosiert macht, lässt es die Geschichte realistischer wirken, aber hier hat es der Autor etwas übertrieben, finde ich, so dass das nach einer Weile eher nervig wirkt.

Ein wichtiger Teil der Welt, welche wir geschildert bekommen, ist die Adware. Dieses Interface zwischen Gehirn und dem Internet ist nicht direkt eine neue Idee, aber es ist auf jeden Fall sehr nett umgesetzt. Auch hier nimmt der Autor den aktuellen Zustand der Welt und spinnt das weiter. Wenn wir also heute keine Webseite besuchen können, ohne mit Werbung überflutet zu werden, dann passiert das für Dominic direkt in seinem Gehirn. Nur die teure Adware bietet auch entsprechende Werbefilter, bei billigen Modellen muss man eben mit Bugs und fehlenden Möglichkeiten leben. Das würde man natürlich gerne als völlig übertrieben abtun, aber ich fürchte, das könnte ziemlich genau so passieren.

Die Adware bietet aber nicht einfach nur ein Interface zu Werbung, man kann damit auch komplett in eine virtuelle Welt eintauchen, wie etwa das Pittsburgh-Archiv. Diese virtuelle Welt wurde nach der Katastrophe aus allen vorhandenen Aufzeichnungen zusammengebaut, welche über den „Right to Remember Act“ zu Allgemeingut erklärt wurden. Diesen Gedanken fand ich sehr interessant. Auf der anderen Seite wird das virtuelle Pittsburgh sehr real geschildert, für meinen Geschmack fast schon zu real. Könnte man das wirklich aus ein paar Überwachungskameras und Social Media Posts zusammenbauen? Wer weiß, die Geschichte spielt ja auch ein paar Jahre in der Zukunft. Definitiv zu real ist der Autor an einer Stelle geworden, als er erwähnt, dass dieses Archiv mit der Programmiersprache Java geschrieben wurde. Das würde ich mich eher nicht trauen, vorherzusagen ob man in zehn Jahren oder mehr noch in Java programmiert! Davon abgesehen gab es aber recht spannende Schilderungen, wie der Hacker über vorsätzlich ausgelöste Exceptions versucht, Spuren zu verwischen. Für mich als Software-Entwickler war das sehr spannend zu lesen, und ich fand die entsprechenden Szenen auch gut geschildert und erklärt. Man kann es denke ich auch als technischer Laie verstehen.

Nicht zuletzt dreht sich das Buch auch um den Verlust einer ganzen Stadt. Während ich das Buch gelesen habe, wurden gerade die letzten IS-Terroristen aus Homs vertrieben, und ich konnte nicht umhin zu denken, dass das Ergebnis dort auch nicht viel anders als im fiktiven Pittsburgh ist. Die Geschichte ist also gar nicht so weit hergeholt. Was ich etwas Schade fand: Der Autor stammt aus Pittsburgh und erwähnt auch viele Details von Stadtvierteln und lokalen Besonderheiten. Nach der Lektüre hatte ich aber kein wirkliches Bild der Stadt im Kopf. Der Wikipedia-Artikel zu der Stadt enthält u.a. ein schönes Bild der Skyline auf einer Landzunge an einer Flußbiegung. Ich verstehe wirklich nicht, wieso man diesem Buch so ein unheimlich generisches Cover gegeben hat anstatt eine Pixelversion dieser Skyline aufs Cover zu packen. Dann hätte man sofort ein Bild im Kopf gehabt.

Fazit

„Tomorrow and Tomorrow“ ist eine spannende Geschichte aus einer düsteren Welt, welche viel mit Verlust zu tun hat. Es ist das Erstlingswerk des Autors und hat die ein oder andere Schwäche im Aufbau der Geschichte. Der Schreibstil wird zudem nicht jedem liegen, aber ich zumindest hatte damit kein Problem. Alles in allem finde ich den Roman trotzdem gelungen und lesenswert.

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So, noch mal kurz drüber schauen und dann nichts wie ab damit. Vielen Dank fürs Kommentieren! :-)